Sie wusste, dass sie in Gefahr war. Wer als Journalist im Irak arbeitet, wacht jeden Morgen in dem Bewusstsein auf, dies könnte der letzte Tag seines Lebens sein. Sahar al-Haidari, 45, hatte aufgehört, die Drohungen zu zählen. Als sie am 7. Juni ihr Haus in Mosul verließ, wurde sie von Männern mit Maschinenpistolen kaltblütig erschossen. In einem Bekennerschreiben der Terrororganisation Ansar al Sunna hieß es: "Nach differenzierter Beobachtung kamen wir zu dem Schluss, dass ... Haidari falsche Berichte über die Mudschaheddin geschrieben hat, um die Wahrheit zu verzerren." Die Reporterin habe mit der "ungläubigen" irakischen Polizei und Regierung kollaboriert. Immer wieder hatte sie über den Tod geschrieben, den die Anhänger von al Qaeda nach Mosul brachten, und über den Wahn in all seinen Formen: darüber, dass Mosul eine Stadt ohne Bilder geworden sei, weil fast alle Fotografen tot seien, die letzten Zeitungen keine Fotos mehr veröffentlichten, niemand mehr die wenigen Hochzeiten fotografiere. Nur noch Passbilder seien "halal" - genehmigt von den selbst ernannten Wächtern des rechten Glaubens. Von eben jenen halbwüchsigen Eiferern des "Islamischen Staates Irak", die auf Plakaten verkündeten: Frauen dürften nicht mehr auf Stühlen sitzen. Männer dürften keine Musik mehr hören. Gurken dürften nicht mehr in einem gemeinsamen Salat mit Tomaten auftauchen, denn Erstere seien männlich, Letztere weiblich.
Sahars letzter Rechercheauftrag war vom stern gekommen: Es ging um den Tod einer 17-Jährigen, die von ihren eigenen Verwandten gesteinigt worden war. Sie hatte einen Jungen mit der "falschen" Glaubensrichtung geliebt (stern Nr. 22/2007). Sahar war eng verbunden mit der Arbeit des "Institute for War & Peace Reporting" (IWPR). Diese Organisation bildet Journalisten dort aus, wo es zu wenige gibt, die couragiert und professionell berichten. Sie gibt Kurse im Kosovo, Kaukasus, in Zentralasien und Afghanistan. Im Herbst 2003 nahm das IWPR-Büro in Bagdad seine Arbeit auf, musste aus Sicherheitsgründen bereits 2004 nach Suleimania im halbwegs sicheren Nordirak verlegt werden. Sahar war als eine der Ersten dabei, kam immer wieder für Kurse nach Suleimania. Kein westlicher Reporter kann mehr in Bagdad, Mosul und weiten Teilen des Irak ohne ein halbes Dutzend Leibwächter recherchieren. Irakische Journalisten sind die einzigen, die überhaupt noch berichten können, was dort geschieht. Sie sind wichtig. Noch wichtiger ist, dass sie überleben. Um akut bedrohten Journalisten zu ermöglichen, sich und ihre Familien wenigstens für ein paar Wochen in Sicherheit zu bringen, hat das IWPR nach Sahar al-Haidaris Tod einen Fonds eingerichtet: "Sahar Journalists Assistance Fund". Geld wird dringend benötigt, Spenden leitet die stern-Stiftung weiter unter dem Stichwort "Sahar", Deutsche Bank AG, BLZ 200 700 00, Kto. 469 9500.
Im Sommer 2005 startete der stern eines seiner erfolgreichsten Serien-Projekte: "So liebt die Welt". stern-Teams reisten von Japan bis Brasilien, um die Kultur des Flirtens und der Liebe in anderen Ländern und Kulturen zu ergründen. Auf Wunsch vieler Leser setzen wir dieses Serien-Projekt nun fort. Auf unserem Programm stehen in diesem Sommer: Kuba, Israel, Thailand, England, Kenia, Mexiko, Südkorea, Türkei. Wir beginnen in dieser Ausgabe mit dem Iran. stern- Reporter Steffen Gassel und Fotograf Alfred Yaghobzadeh verfolgten dort Aufklärungsunterricht für junge Frauen, in denen männliche Sexualorgane mit keinem einzigen Wort erwähnt werden. Andererseits verfügte Ayatollah Khomeini einst, dass Geschlechtsumwandlungen mit dem Islam vereinbar und darum heute auf Krankenschein möglich sind. Es ist doch aufschlussreich, wie viel man über ein Land lernt, wenn man der Frage nachgeht, wie Mann und Frau in einer Gesellschaft zueinanderfinden. Und wie sehr unsere Vorstellungen über sexuelle Freiheiten oder Tabus auf der Welt oft mit der Wirklichkeit kollidieren.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold