Kaum wird es um die Partei etwas ruhiger, da drückt zuverlässig irgendein Sozialdemokrat wieder den Knopf für den Selbstauflösungsmechanismus. Diesmal ist es die Schiedskommission der nordrhein-westfälischen SPD, die das Urgestein Wolfgang Clement aus dem Willy-Brandt-Haus werfen will. Unfreiwillig komisch mutete an, dass zur selben Zeit SPD-Vize Frank-Walter Steinmeier über den dramatischen Mitgliederschwund der Volksparteien klagte und mehr politisches Engagement forderte. Dem "Münchner Merkur" sagte er: "Ich wünsche mir, dass viele, die oben vom Tribünenplatz aus meckern, runterkommen aufs Spielfeld und sagen: Da mach ich mit!"
Richtig. Aber stellen wir uns einen Menschen vor, der sich in diesen Tagen aufrafft und in die SPD eintreten will. Er wüsste wohl kaum, worauf er sich da einlässt. Er wüsste nicht, wer am Ende in der SPD das Sagen hat: die Gegner der Agenda 2010 oder ihre Anhänger. Dass sich Kurt Beck von Schröders Reformkurs absetzt, dass er der Hessen-SPD den Flirt mit den Linken erlaubt hat, konnte den Mitgliederschwund der SPD jedenfalls nicht bremsen, im Gegenteil. Wird Steinmeier Kanzlerkandidat - nichts und niemand spricht dagegen -, hat ein Co-Architekt der Agenda den Hut auf. Und im Wahlkampf dirigiert der Kandidat, egal, wer unter ihm Parteichef ist. Steinmeier bekommt Unterstützung von Finanzminister Peer Steinbrück, immerhin einer der drei Beck-Stellvertreter, der sich wiederum mit Clement solidarisiert. Der Graben in der SPD, man muss ihn wohl den "Schröder-Graben" nennen, ist in voller Breite aufgebrochen. Dies verwirrt unseren Aufnahmewilligen wie auch das übrige Wahlvolk. Man wendet sich mit Grausen ab. Es ist überdeutlich, dass Clements Rausschmiss die Partei mehr schädigt als dessen Ypsilanti-Mobbing: Die neuesten Ergebnisse der stern-Forsa-Umfrage fallen fatal aus (Seite 25). Nur noch 22 Prozent, Tendenz fallend, würden kommenden Sonntag SPD wählen. Diese Katastrophenwerte auszusitzen wäre falsch.
Was tun? wer kann helfen? Es gibt einen Leuchtturm in der SPD, der auf sozialem Fundament ruht und an dem sich die gesamte Sozialdemokratie ausrichten könnte: Franz Müntefering. Der steht zur Politik der Agenda 2010 und kann dennoch alle Sozis leiten. Der Leuchtturm ist abgeschaltet, aber vielleicht nur vorübergehend. Müntefering wird nun nach dem Tod seiner Frau nicht gleich die Öffentlichkeit suchen. Doch es wurmt ihn zu sehr, wie sein alter Laden heruntergewirtschaftet wird. Er könnte Lust verspüren, sich wieder einzumischen. Zum Beispiel im Wahlkampfteam von Steinmeier als sozialdemokratische Kompetenzgröße und als designierter Minister in einer erneuten Großen Koalition. Denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Regierungsmodell nach der Wahl fortgesetzt werden muss.
Der Zuchtmeister könnte all das, was Kurt Beck nicht zu gelingen scheint: führen, integrieren, verlässlich Orientierung geben. Gut möglich, dass im Herbst die ersten Rufe laut werden: Münte, come back! Er ist jetzt 68. Aber er wäre der Fortschritt. Denn es gibt zurzeit wohl kaum einen glaubwürdigeren Sozialdemokraten als Franz Müntefering.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold