Generaldebatte Merz spielt Merkel, Alice Weidel mimt Maggie Thatcher

Bundeskanzler Friedrich Merz im Bundestag
Kanzler Merz (CDU): Die wohl schwierigste Situation seiner Amtszeit
© Kay Nietfeld / DPA
Kanzler Merz ist schwer in der Defensive, seine eigenen Leute machen ihm das Regieren schwer. Manche glaubten an einen Gegenschlag in der Generaldebatte – der fiel aus. Fünf Lehren.

Es ist halb zehn – der Kanzler geht ans Pult des Bundestags. Wohl noch nie stand er in seiner Amtszeit so unter Druck, außen wie innen. Die Europäer versuchen hektisch, an den Verhandlungstisch in Sachen Ukraine zu kommen. Daheim machen ihm seine eigenen Leute das Regieren schwer. Das Rentenpaket ist seit Wochen in der Schwebe, mittlerweile ist die Debatte derart aufgeladen, dass selbst Kabinettsmitglieder ein Scheitern der Koalition in den Raum stellen. Ausgerechnet jetzt muss der Kanzler in der Generaldebatte zum Haushalt seinen Kurs verteidigen und dem Land zeigen, dass in der Koalition noch Leben steckt. Wie agiert er? Schafft der Kanzler es aus dem Krisenmodus? Fünf Lehren aus der Debatte.

Mehr Merkel geht nicht

Ein neuer Konsens der Gerechtigkeit müsse nun gefunden werden, denn die Bundesrepublik sei ein "hochkomplexes" Gebilde, das keine "unterkomplexe Antworten" vertrage. Überfällige Reformen könne man nicht übers Knie brechen, man müsse Schritt für Schritt vorangehen. Wer, bitte, spricht hier nochmal? Kurzer Check: Keine Föhnfrisur, sondern hohe Stirn mit dem Puschel, kein bunter Blazer, sondern graues Jackett – und doch kann man sich während dieser Rede kaum des Eindrucks erwehren, statt Friedrich Merz spreche hier Altkanzlerin Angela Merkel, die Antithese zum "Einfach mal machen"-Habitus ihres Nach-Nachfolgers, die Gottseibeiuns des ungeduldigen Reformators, den Merz doch stets am liebsten gibt.

"Nein, nein, nein, die Sitzung leite ich" – Klöckner kanzelt meckernde Weidel ab
"Nein, nein, nein, die Sitzung leite ich" – Klöckner kanzelt meckernde Weidel ab
© Michael Kappeler/dpa
"Nein, nein, nein, die Sitzung leite ich" – Klöckner kanzelt meckernde Weidel ab
© Foto: Michael Kappeler/dpa

Ob Merz so seine Kritiker überzeugt, die derzeit vor allem in den eigenen Reihen sitzen, die keine Lust auf kleine Schritte haben, sondern auf Disruptionen hoffen, wenigstens auf Reformen in der Rente? Merz merkelt. 

Merz flüchtet in die Weltpolitik

Der Kanzler steht unter Druck wie noch nie in seiner Amtszeit, die eigenen Leute drohen damit, sein Rentenpaket zu torpedieren. Was macht Merz? Geht nur indirekt auf den Streit ein, flüchtet stattdessen – wie schon beim Arbeitgebertag am Mittwoch – in die Weltkrise. Die Geopolitik verdunkele sich, warnt er, in der Ukraine drohe ein Kapitulationsfrieden, Europa befinde sich in einem Schicksalsmoment. Subtext: In dieser Situation können wir es uns beim besten Willen nicht leisten, uns selbst zu zerlegen. 

Überzeugt das die Kritiker? Das Problem: Schon einmal hat Merz die Weltlage bedient, um die eigenen Leute auf Kurs zu bringen – beim Schuldenpaket, das er mit Trumps Wahl und Putins Aggression begründete. Fraglich, ob das noch einmal zieht. Die Reaktionen aus der Fraktion nach seinem Ausbruch beim Arbeitgebertag waren jedenfalls alles andere als freundlich. Merz, so der Tenor einiger Abweichler, dürfe gern einmal inhaltlich das Thema Rente diskutieren, statt die großen Krisen zu instrumentalisieren.

Die SPD umarmt den Kanzler

Merz spricht, die SPD applaudiert, nicht einmal, immer wieder brandet Applaus in den Reihen der sozialdemokratischen Fraktion auf. Die Genossinnen und Genossen sind zufrieden, Merz, das ist in diesen Tagen auch ihr Kanzler. Solange er zu den Rentenbeschlüssen steht, die man in der Koalition und im Kabinett bereits beschlossen hat. Fraktionschef Matthias Miersch muss den ewigen Streit um die Haltelinie gar nicht erwähnen, er findet ja bislang vor allem innerhalb der Union statt – und wenn es nach ihm geht, soll er da auch bleiben. Die SPD sieht keinen Grund, den keineswegs nur jungen Kritikern in der CDU-Fraktion entgegenzukommen. 

Für den Moment gefällt sie sich in der Pose des unnachgiebigen Rentenretters, für den Moment verspricht das einen kurzfristigen politischen Erfolg – doch schon mittelfristig dürfte sich diese Strategie rächen. Spätestens Mitte kommenden Jahres, wenn die noch einzusetzende Rentenkommission ihre Vorschläge zur Reform der Altersversorgung vorlegt, wird sich die SPD zu notwendigen Einschnitten verhalten müssen, die sie jetzt noch so vehement verneint.

Alice Weidel spielt Maggie Thatcher

Es gab eine Zeit, in der man die Uhr danach stellen konnte, wann Alice Weidel gegenüber Einwanderern ausfällig wird. Das Thema Asyl spart sie auch diesmal nicht aus, aber auffällig ist, dass sie an diesem Mittwoch vor allem in einer Mission unterwegs ist: die Union mit ihren eigenen Waffen zu quälen. 

Sie präsentiert einen Zwölf-Punkte-Plan, den sie "Deutschlandplan" nennt, der eigentlich ein Lockangebot gegenüber CDU und CSU ist. Strompreise senken, Energiewende zurückdrehen, AKW-Rückbau verhindern, Steuern senken, Soli abschaffen: Man könne vieles von dem, was auch die Union wolle, sofort gemeinsam umsetzen. Weidel, deren Reden im Netz auch deshalb so erfolgreich sind, weil sie zuweilen leicht wahnsinnig wirken, gibt sich diesmal kontrolliert, streng, kühl und reformorientiert. Hauptthema: Wirtschaft. Es ist, als wolle sie sich als deutsche Maggie Thatcher inszenieren.

Spahn bereitet Renten-Kritiker auf Enttäuschung vor

Jens Spahn hat schon viele scharfe Reden gehalten. Die am Mittwoch gehört nicht dazu. Er teilt hier und da aus in Richtung AfD und Linker, ansonsten ist es ein nach innen gerichteter Auftritt. Und er ist bemerkenswert: Spahn wendet sich – ohne das ausdrücklich auszusprechen – an die Rentenkritiker in den eigenen Reihen. Es sei ein großer Erfolg für sie, dass sie die Regierung dazu gebracht hätten, die Pläne für eine grundsätzliche Rentenreform vorzuziehen, sodass man im Sommer schon mit Gesetzen loslegen könne. In der Schmeichelei ist allerdings eine harte Botschaft versteckt: Ihr müsst jetzt leider einlenken. 

Man müsse sich in der politischen Mitte immer fragen, bis zu welchem Grad man eine Position halten könne. "Wir haben starke Überzeugungen", sagt Spahn. "Gleichzeitig haben wir ein großes verantwortungsethisches Bewusstsein, den Blick für das große Ganze." Was er damit sagt: Diese Koalition muss halten. Ärger über das Rentenpaket kann kein Grund sein, sie zu zerstören. "Stark ist, wer regierungs- und handlungsfähig ist." Wie effektiv diese Mahnung ist, dürfte sich in den kommenden Tagen zeigen.

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