Editorial Wenn man sich schuldig fühlt ...

Liebe stern-Leser!

Es geht nicht um Schuld im juristischen Sinne. Es geht um die Folgen einer Unaufmerksamkeit, einer vielleicht lächerlichen Fahrlässigkeit, um einen Moment, in dem Menschen unbeabsichtigt den Tod eines anderen herbeigeführt haben. Wie lebt es sich mit dieser Last, mit dem ewigen "Warum?", mit den Selbstvorwürfen, die aufkommen - vorausgesetzt, das moralische Wertesystem ist intakt? Ein Hubschrauberpilot verliert eine Tragelast und bringt eine Seilbahngondel zum Absturz, ein Motorradfahrer wird zum Krüppel gefahren, ein Polizist erschießt in vermeintlicher Notwehr den Bruder seines Freundes. Eine Mutter gibt sich die Schuld am Selbstmord ihres Sohnes, weil sie glaubt, die versteckten Hilfesignale ihres Kindes übersehen zu haben. Anlass für diese berührende Titelgeschichte ist der Skiunfall des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus, bei dem die Slowakin Beata Christandl, Mutter von vier Kindern, ums Leben kam (stern Nr. 3/2009). Nach bisherigen Erkenntnissen dürfte der Politiker zumindest eine Mitverantwortung am Tod der Skifahrerin tragen. Die Ermittlungen laufen noch, der Witwer denkt über Schadensersatzansprüche nach. Ein tödlicher Unfall muss nach österreichischem Recht vor Gericht verhandelt werden, auch wenn dem Überlebenden nur eine Teilschuld angelastet wird. Nicht einmal der Anwalt von Althaus bestreitet, dass sein Mandant ein Stück bergauf - vorbei an einer Absperrung - in die Piste eingefahren ist, auf der ihm Beata Christandl entgegenkam. Ein kurzer, unachtsamer Moment … Wie auch immer das Verfahren ausgeht - das tragische Ereignis wird vermutlich schwer auf Althaus lasten (Seite 56).

Ob und wie lange das umkämpfte Konjunkturpaket II wirkt, ist natürlich auch Thema in dieser Ausgabe (Seite 34). Unterm Strich hat die Politik zu viel Aufhebens um Kleinkram gemacht. Auch die Medien widmeten dem wochenlangen Showkampf der Koalitionspartner um Abgabensenkungen, verbesserte Steuerprogression, einen niedrigeren Eingangssteuersatz und Abwrackprämien für Autos eine übertriebene Aufmerksamkeit. Nun werden manche Bürger denken: Die Lösung der Wirtschaftskrise naht. Zwar dürften all diese Entlastungen den Einzelnen freuen. Aber erstens bleibt davon im Portemonnaie wenig, zweitens weiß niemand, ob die Bürger nun tatsächlich mehr ausgeben. Die Parteien wollten vor allem ihre jeweilige Klientel bedienen. Die einzige Maßnahme, die vorhersagbar sinnvoll ist, sind Investitionen des Bundes und der Länder: Wenn sich Deutschlands Handwerker, Ingenieure und Bauleute der Schulen, Straßen und Universitäten annehmen, bleiben Tausende Arbeitsplätze erhalten, Löhne werden gezahlt, die in den Konsum fließen.

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold

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