Der geheime Code der Liebe Ich kann in meinen Beziehungen kein Vertrauen fassen

Claudias letzte Beziehung ist gescheitert, weil sie sich nicht richtig auf ihren Partner einlassen konnte. Der jungen Frau wird klar, dass sie schon immer ein Problem damit hatte, Vertrauen zu anderen Menschen aufzubauen. Sie erhofft sich Hilfe von Beziehungscoach Julia Peirano.

Liebe Frau Dr. Peirano,

Ich (26) habe mich nach fast vierjähriger Beziehung Anfang des Jahres von meinem Freund getrennt. Die Gründe, welche ich ihm genannt habe, waren die für mich nicht mehr zu ertragende Wohnsituation (Chaos pur), sowie die ständigen Streitereien zwischen uns, was aber so im nachhinein betrachtet nur die halbe Wahrheit ist.
Ich kann einfach keine Nähe zulassen in Beziehungen, in körperlicher Hinsicht, wie auch auf Gefühlsebene. Wir hatten natürlich auch Sex, die Initiative ging hier immer von ihm aus. Hätte er hier nicht den ersten Schritt gemacht, hätte unser Sexleben sicher gen null tendiert. Der Sex war normal und ganz ok, denke ich. Es hat nur trotzdem irgendetwas gefehlt. Ich habe mich hier immer in mich zurückgezogen und meine Gefühle in mir eingeschlossen. Dieses Gehen und Fallen lassen ist mir da einfach nicht möglich gewesen. Manchmal habe ich einfach nur mit ihm geschlafen, weil er einfach das Verlangen hatte und ich ihn nicht enttäuschen wollte. Nur richtig gefühlt habe ich da nichts. Auch Küsse und die banalsten Berührungen wurden zunehmend zum Problem. Ich habe in diesen Situationen dann immer nach Wegen gesucht, aus der Situation raus zu kommen, um Distanz herzustellen und Abstand zwischen uns zu bekommen, auf körperlicher wie auch auf Gefühlsebene, was dann unter Anderem zu Wochen ohne Sex geführt hat. Er hat das dann natürlich auch gemerkt und angesprochen, ich konnte ihm das aber nie richtig erklären, warum ich die Nähe nicht zulassen konnte und auf Distanz gegangen bin.
Er hat dann immer weiter nachgebohrt und wollte hören was ich fühle, was ich empfinde, warum die Dinge bei mir so sind wie sie sind, und warum ich mich so verhalte. Das war dann das nächste Problem, da ich nicht wirklich in der Lage war und bin, wirklich offen über meine Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. Was mir jetzt jedoch, je länger ich darüber nachdenke auffällt ist, dass ich diese Probleme in meiner vorherigen Beziehung auch schon hatte, sie nur nicht so greifen konnte wie jetzt.
Ich denke, dass die Gründe für mein Verhalten in meiner Vergangenheit liegen. Ich bin ein sehr ruhiger, schüchterner und introvertierter Mensch. Dieser Umstand hat mir in der Schule in der Mittel- und Oberstufe einen täglichen Kampf mit den Mitschülern, ständigen Hänseleien, fiesen Sprüchen, Ausgrenzung, und dem Gefühl, nicht dazu zu gehören und nicht normal zu sein eingebracht. Das ging über Jahre so, sprechen konnte ich darüber mit niemandem, auch nicht mit meinen Eltern, die bis heute nichts davon wissen. Ich musste selbst damit klar kommen, die Dinge mit mir selbst ausmachen und die Schulzeit irgendwie überstehen, was ich dann auch mit Hängen und Würgen geschafft habe. Geblieben sind mir davon sehr tiefe seelische Wunden, ein prinzipielles Grundmisstrauen meiner Umwelt gegenüber und die Haltung, mich ausschließlich auf mich selbst zu verlassen.
Da die nächste Beziehung irgendwann kommen wird und ich nicht wieder vor den gleichen Problemen stehen will, bitte ich hier um Ihre Einschätzung und Rat, wie ich hier eine positive Veränderung für mich herbeiführen kann. Vielen Dank.
Herzliche Grüße
Claudia

Liebe Claudia,
ich finde es sehr ehrlich, dass Sie sich eingestehen, dass Ihre Probleme nicht nur an Ihrem Partner liegen, sondern auch sehr viel mit Ihnen und Ihrer Vergangenheit zu tun haben.
Mir fällt auf, dass Sie in nahen Beziehungen Verletzungen erlebt haben und wenig Vertrauen entwickeln konnten. Das wird für mich deutlich, weil Sie Ihren Eltern nichts von dem jahrelangen Mobbing durch Ihre Mitschüler erzählt haben. Sie wurden jahrelang ausgegrenzt und geärgert, was für Schüler sehr belastend ist! Und trotzdem konnten Sie sich Ihren Eltern nicht anvertrauen und sie um Hilfe bitten. Sie sagen nicht, weshalb Sie das Gefühl hatten, Ihren Eltern nichts erzählen zu können, aber Sie hatten sicher gute Gründe. Auf jeden Fall kommt es mir so vor, als wenn Sie sehr allein waren.
Das Elternhaus ist nun mal die Schule der Liebe. Und da Sie bei Ihren Eltern kein Vertrauen entwickeln konnten, ist es nicht verwunderlich, dass Sie auch in Ihren Liebesbeziehungen kein Vertrauen mitbringen. Sie können mit Ihrem Partner nicht über das reden, was Sie beschäftigt und was Sie fühlen. Sie können noch nicht sagen, was Sie gerne möchten und was nicht. Es fällt Ihnen schwer, Grenzen zu setzen. Dass das die Beziehung belastet, liegt nahe. Und natürlich wirkt sich das auch auf die Sexualität aus: Dort können Sie sich nicht wirklich zeigen und sich nicht fallen lassen. Oft ist es so, dass man nicht Ja sagen kann, wenn man nicht auch Nein sagen kann, und so wundert es mich nicht, dass Sie wenig Lust auf Sex haben.
Ich würde Ihnen deshalb vorschlagen, dass Sie ein paar Schritte zurück gehen und sich erst einmal intensiv mit sich selbst auseinander setzen. Dazu gehört es, die Verletzungen der Vergangenheit aufzuarbeiten, sowohl die Mobbing-Erfahrung in der Schule als auch das mangelnde Vertrauen, dass Sie zu Ihren Eltern haben- und die Gründe dafür (die Atmosphäre im Elternhaus, die Belastungen Ihrer Eltern, den Umgang miteinander). Wichtig wäre es, dass Sie Ihre eigenen Gefühle besser lesen können und sich bei sich selbst sehr gut zu Hause fühlen- das ist eine sehr wichtige Voraussetzung, um auch in einer Partnerschaft gut bei sich zu bleiben und trotzdem Nähe zum Partner aufbauen zu können.
Kurzum, es geht darum, eine positive Erfahrung in einer nahen Beziehung zu machen und daraus Vertrauen aufzubauen. Das kann in einer längeren Psychotherapie gelingen, wenn Sie sich eine Therapeutin oder einen Therapeut suchen, zu dem Sie Vertrauen aufbauen können. Es wäre sicher gut, eine Weile ohne Partnerschaft zu leben, damit Sie sich in der Therapie ein Bild von einem Partner machen können, der gut zu Ihnen passt und dem Sie auch vertrauen können.
Ich kann mir vorstellen, dass die Beschäftigung mit sich selbst Ihnen hilft, dass Sie sich in zukünftigen Partnerschaften besser auf Ihren Partner einlassen können.
Herzliche Grüße
Julia Peirano

Liebe Leserinnen und Leser,
ich freue mich immer über Ihre wertvollen Kommentare, über Ihre Gedanken, eigenen Erfahrungen und Ihre Ratschläge an den Ratsuchenden.
Bitte bedenken Sie, dass sich hier immer jemand öffnet und äußerst delikate Dinge von sich preisgibt. Deshalb achte ich auf einen geschützten Raum und bitte Sie, stets konstruktiv und respektvoll zu schreiben.
Herzliche Grüße und danke, dass Sie den Blog so bereichern!!!
Julia Peirano

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