bochum Ich weiß, dass ich nichts weiß...

Selbsterfahrungs-Trip Germanistisches Oberseminar

Selbsterfahrungs-Trip Germanistisches Oberseminar

Es sollte das letzte Seminar in meiner studentischen Laufbahn sein. Dass sich das dreitägige Oberseminar »Traum und Trauma in der Literatur« weit ab vom Unialltag aber auch zu einer der elementarsten Erfahrungen meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Literatur entwickeln würde, daran hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht geglaubt.

1. Tag, 19.00

Uhr Alles fing ganz harmlos an: Zu Beginn lockten Uwe Johnsons Jahrestage. Die drei Referenten näherten sich dem fast 2000 Seiten starken Werk auf behutsame Weise. Erst die Theorie, dann die praktischen Beispiele - wie aus dem Lehrbuch für wissenschaftliches Arbeiten. Doch schon die anschließende Diskussion ließ erahnen, wie es hier die nächsten Tage zugehen würde. Während sich Neulinge ohne Oberseminarerfahrung eher in Schweigsamkeit übten, lieferten sich Dozenten und anwesende Doktoranden oftmals Wortgefechte. Die schienen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema zwar schienen, erinnerten mich aber nur zu oft daran, wie fern mir diese Welt der Literaturwissenschaft bis heute geblieben ist. In den Augen manch anderer Seminarteilnehmer meinte ich ab und zu das selbe zu sehen - vielleicht habe ich mich auch getäuscht.

1. Tag, 21.45

Uhr Willkommene Abwechslung: das abendliche Beisammensein. Zum Glück hatten wir vorsorglich unsere Biervorräte an der nahen Tankstelle aufgestockt - so lässt sich Literaturwissenschaft aushalten. Zwei Spezies machten sogar bis um 3.00 Uhr weiter und übten sich im Reste-Vertilgen. Dafür sahen sie für den Rest des darauf folgenden Tages entsprechend angeschlagen aus.

2. Tag, 9.00

Uhr Dass Heideggers Philosophie nicht ganz eingängig sein soll, davon hatte ich schon gehört. Dass es aber wie im Fall Ernst Meister jemanden so traumatisieren kann, dass er keine andere Chance mehr sieht, als Gedichte zu schreiben, war mir neu.

2. Tag, 11.11

Uhr Da ist mir ein Francisco de Goya schon lieber. Immer schön an der Vernunft des Menschen zweifeln und der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Endlich fasse ich Mut und versuche auch einmal, mich an der Diskussion zu beteiligen. Doch irgendwie kommt meine Meinung bei der Referentin nicht gut an. »Die französische Armee Napoleons, ein zerlumpter Haufen Freiwilliger?« - das hätte ich besser nicht sagen sollen. Mir bleiben die Worte im Halse stecken - meine letzte Meldung für dieses Sommersemester.

2. Tag, 16.50

Uhr Apokalyptische Reiter, fröschespeiende Drachen, ein nicht enden wollender Kometenschwarm prasselt auf die Welt nieder - die Tage der Erde sind gezählt. Meinen Magen scheint das spannende Referat nicht zu interessieren - wann gibt es endlich Abendbrot?

2. Tag, 23.24

Uhr Hätte nie geglaubt, dass mich Fußball einmal so brennend interessieren könnte. Fernab jeder literaturwissenschaftlichen Theorie blühe ich inmitten von Schalkern und Anhängern des Abstiegskandidaten VfL Bochum auf, auch wenn ich mich auch diesmal nicht wirklich an der Diskussion beteiligen kann.

3. Tag, 11.15

Uhr Endspurt Psychoanalyse: Sigmund Freud glaubte, die Hysterie seiner Patientinnen erfolgreich mit Vibratoren behandeln zu können. Ich glaube nur noch an das nahende Wochenende, doch der Minutenzeiger meiner Armbanduhr scheint zu klemmen.

3. Tag, 12.00

Uhr Am Mittagstisch wird mir erst richtig bewusst, was ein traumatisches Erlebnis sein kann. Was um alles in der Welt haben diese komischen Kerne auf dem Rotbarsch-Filet zu suchen und warum schmeckt der Kartoffelsalat nach allem, nur nicht nach Kartoffelsalat? Nach diesem Abenteuerausflug in die Abgründe alternativer Kochkunst hat mich die »normale« Welt wieder und eine Erkenntnis macht sich breit: Ich weiß, dass ich nichts weiß - doch scheint das Fazit des Oberseminars recht zu behalten: Narration ist das einzige Mittel der Therapie, die einzige Chance auf Heilung. Jetzt kann das Wochenende kommen! (sf)

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos