Geflügelzüchter "Dann ist der Markt im Eimer"

Die Tötung von mehreren tausend Hühnern auf der Insel Rügen lässt ahnen, was bei einer bundesweiten Ausbreitung der Vogelgrippe droht. Geflügelzüchter fürchten um ihre Existenz - und fühlen sich vom Verbraucher im Stich gelassen.

Die Länder bereiten sich auf Massentötungen von Hausgeflügel vor. Die wirtschaftlichen Folgen für die Landwirte sind nicht absehbar. Geht es um die wirtschaftlichen Schäden für die Landwirte, verweisen die Landwirtschaftsministerien der Länder derzeit oft auf die regionalen Tierseuchenkassen. Die überwiegend als Pflichtversicherung organisierten Kassen sind das Hauptinstrument, um die Geflügelzüchter vor dem Ruin zu retten. Denn wenn die Behörden zur Abwehr der Vogelgrippe die Tötung eines Tierbestands anordnen, ersetzen die Kassen den materiellen Wert der Tiere.

Kasse ersetzt keinen Verdienstausfall

Jeder Tierhalter ist verpflichtet, zu Jahresanfang seinen Tierbestand der regionalen Kasse zu melden. Gestaffelt nach Zahl der Tiere werden dann Pflichtbeiträge fällig. So sind in Hessen für die ersten 50 Hühner fünf Euro pro Jahr zu zahlen. Jedes weitere Huhn kostet den Landwirt nochmals zwei Cent. Muss der Bestand wegen Vogelgrippeverdachts getötet werden, so erhält der Landwirt die Tiere je nach Marktwert ersetzt. In den meisten Ländern übernimmt die Tierseuchenkasse zudem die Kosten für die Vernichtung des toten Viehs in der Tierkörperbeseitigungsanstalt. Weitere Kosten aber sind in der Regel nicht abgedeckt.

Recht weitgehend ist die Regelung in Nordrhein-Westfalen. Hier werden nach Angaben des Landesamtes für Ernährungswirtschaft sogar die Kosten für die Reinigung und Desinfektion der Ställe, für die Vernichtung von verseuchtem Futter sowie von möglicherweise infizierten Eiern übernommen. Mit der Vernichtung aller potenziellen Infektionsherde aber endet die Zuständigkeit der Tierseuchenkassen.

"Sechs Wochen keine Einnahmen"

Auf den wirtschaftlichen Folgeschäden bleibe der Landwirt sitzen, erklärt Michael Stab, Referent für Tierhaltung beim Deutschen Bauernverband. Mindestens vier Wochen sei ein Betrieb nach einem Vogelgrippefall gesperrt, mindestens sechs Wochen dauere es, bis Hühner oder Hähnchen herangewachsen seien und wieder vermarktet werden könnten: "Das heißt sechs Wochen keine Einnahmen."

Der Generalsekretär des Bauernverbands, Helmut Born, forderte daher Dienstag in der "Berliner Zeitung" zusätzliche staatliche Hilfen: "Bund und Länder müssen solidarisch einstehen, falls sich die Seuche weiter ausbreitet." Dagegen bezeichnete der niedersächsische Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen entsprechende Forderungen als verfrüht. Solange noch kein Schaden eingetreten sei, müsse niemand große Forderungen stellen, erklärte der CDU-Politiker im Inforadio des rbb. Als größte Gefahr gilt derzeit ein Einschleppen des Vogelgrippevirus nach Niedersachsen. Dort scharrt und gackert nach Angaben des Bauernverbands knapp die Hälfte des deutschen Hühnerbestands: Rund 13 Millionen Legehennen und etwa 28 Millionen Masthähnchen.

Bauernverband fordert staatliche Hilfen

Innerhalb von Niedersachsen konzentriere sich die Geflügelhaltung vor allem auf die drei Landkreise Cloppenburg, Emsland und Vechta, betont Tierexperte Stab. Massentötungen von mehreren Millionen Hühnern sind vor diesem Hintergrund eine sehr reale Gefahr. Wie große Geflügelfarmen mit den wirtschaftlichen Folgen zurechtkommen, weiß derzeit niemand. Klar ist allen Experten aber auch, dass die Auswirkungen eines solchen Falls alle deutschen Geflügelzüchter treffen werden. "Dann ist der Markt im Eimer", erklärt Stab.

Auch in Landesministerien wird die Gefahr gesehen, dass den Landwirten der Absatzmarkt für Geflügelfleisch weitgehend wegbrechen könnte. Schon seit dem Auftauchen der ersten Vogelgrippefälle in der Türkei im vergangenen Herbst ist der Appetit der Bundesbürger auf Hähnchenkeulen und Putenschnitzel deutlich zurück gegangen. Der Bauernverband beziffert den Rückgang des Absatzes auf etwa 15 Prozent. Nun, wo die Vogelgrippe in Deutschland angekommen ist, dürfte der Rückgang noch weit drastischer ausfallen.

"Von den Verbrauchern im Stich gelassen"

Erste aktuelle Zahlen gibt es dazu aus Bayern: Dort ist der Geflügelverzehr nach Einschätzung der Tierhalter als Reaktion auf die Vogelgrippe um mindestens 20 Prozent eingebrochen. "Wir fühlen uns von den Verbrauchern im Stich gelassen", sagte Bernd Adleff, Geschäftsführer des Landesverbandes der Bayerischen Geflügelwirtschaft, am Mittwoch in München. Es gebe keinen Grund, auf das Fleisch zu verzichten. "Es gibt auf der ganzen Welt noch keinen einzigen Verbraucher, der sich durchs Essen angesteckt hat."

Ein Grund für die Verunsicherung der Verbraucher sind aus Sicht von Adleff die Bilder der vermummten Männer und Frauen, die die toten Tiere an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns entsorgen. Die Kleidung wie "die Mondmänner" sei völlig übertrieben. "Da denkt man, ein Atomkraftwerk sei in die Luft gegangen." Auch die anderen Maßnahmen auf Rügen sind aus Sicht von Adleff "Show und Aktionismus". "Unten müssen die Autos durch Desinfektionsmittel fahren und oben kacken die Vögel den Menschen auf den Kopf." Viel wichtiger sei es, die toten Tiere so schnell wie möglich zu entsorgen. Dies könne aber durchaus auch mit normalen Gummistiefeln und Arbeitsanzügen geschehen.

Renovieren statt Schlachten

Wegen der Zurückhaltung der Verbraucher haben viele Geflügelhalter in Bayern die Zahl der Schlachtungen bereits eingeschränkt. "Manche planen Schlachtpausen und renovieren in der Zeit ihren Betrieb", sagt Adleff. Durch die kurze Lebensdauer der Masthähnchen von rund 40 Tagen könne die Anzahl der Tiere relativ kurzfristig verändert werden. Langfristig werden viele Betriebe die Kauf-Zurückhaltung der Verbraucher nach Ansicht von Adleff aber nicht durchalten. "Die müssen dann schließen."

AP
Mit DPA, AP

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