Kinder-Wohnwünsche Alles auf Grün!

Wie wollen Kinder und Jugendliche wohnen? Mehr als 9000 Schüler gaben im Wettbewerb "Baut auf uns" Antworten, von denen Erwachsene viel lernen können.

Als Ilse Barthelmes, Lehrerin an der Valentin-Traudt-Schule in Kassel, im Frühjahr ihre Klasse fragte, wie deren Wunschstadt aussähe, war die erste Reaktion der Schüler: bloß nicht so eine triste Stadt wie Kassel! Und dann haben Sajme, 14, Timo, 14, und all die anderen mit dem Bauen und Basteln begonnen.

Auf einer großen Holzplatte haben sie Kassel so erschaffen, wie die Stadt aussehen könnte, wenn sich nichts zum Positiven ändert: traurig, düster, verfallen. "Eine Horrorstadt", sagt Sajme. Ratten huschen um umgestoßene Mülltonnen herum, die Straßen sind grau und tot. Beim Basteln sind den Schülern viele Verbesserungsideen eingefallen - so fanden sie zu ihrer idealen Stadt, die sie gleichfalls als Modell errichteten. "Utopia 2020" heißt das heitere, helle Modell.

Mehr als 1000 Beiträge

Es gelang ihnen so überzeugend, dass sie damit einen der ersten drei Preise des Schülerwettbewerbs "Baut auf uns" gewannen. Ein großer Erfolg, denn rund 9000 Schüler aus 375 Schulen mit mehr als 1000 Beiträgen nahmen an dem von stern, Schwäbisch Hall und Deutschem Kinderhilfswerk ausgeschriebenen Wettbewerb teil. Viele Teilnehmer beschränkten sich wie die Kasseler nicht darauf, den Spielplatz schöner und den Jugendtreff heimeliger zu gestalten, sondern verschönerten fantasievoll Häuser, Plätze oder ganze Quartiere. Dabei zeigt sich, dass Stadtplaner und Architekten eine Menge lernen könnten, würden sie mehr auf Kinder und Jugendliche hören.

Immer wieder die gleichen Wünsche

Fünf Wünsche tauchen in den Arbeiten immer wieder auf:

- Geselliges Wohnen: Viele Kinder entwickelten Vorschläge, wie Jung und Alt zusammen unter einem Dach wohnen können, planten zudem gemeinsame Gärten.

- Klare Orientierung: Unübersichtliche Städte, graue Wohnblocks und viel Verkehr schüchtern die Kids ein. Sie entwickelten farbige Kennungen für Viertel und Häuser und auch für Kinder verständliche Wegweiser.

- Angstfreies Leben: Viele der jungen Modellbauer versuchten, die üblichen dunklen Flecke der Innenstädte aufzuhellen - weg mit düsteren Ecken, tristen Tunneln und unbelebten Plätzen.

- Grünere Städte: Natur genießen, ohne auf dem Land wohnen zu müssen - dieser Wunsch verbarg sich hinter den zahlreichen Grünflächen der Modelle.

- Größere Freiheiten: Kinder wollen mehr Platz, und sie wollen ihn selbst gestalten. Vorgefertigte Lösungen lehnen sie ab. Der Umbau von Brachflächen oder leeren Fabriken in Erlebnisräume mit Kletterwänden, Freiluftkinos und legalen Graffitiwänden dominiert viele Entwürfe.

"Oft wird geklagt, die Jugend von heute sei desinteressiert und konsumorientiert", sagt Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der die Schirmherrschaft über den Wettbewerb übernommen hat. "Doch Aktionen wie "Baut auf uns!" zeigen, dass die Bereitschaft, sich an politischen Prozessen zu beteiligen, bei vielen jungen Menschen vorhanden ist - nur wird leider viel zu selten darüber berichtet."

Der Wettbewerb hat viele mobil gemacht. Die Kasseler Schüler haben neben den Modellen eine 100 Seiten starke Dokumentation ausgearbeitet, angefüllt mit Statistiken, den Ergebnissen eigener Umfragen und zahlreichen Zeichnungen. Jetzt wollen sie bei den Politikern ihrer Stadt anrücken, in der Hoffnung, dass sich etwas ändert.

Das Gleiche planen die Zehnjährigen Carla und Linh von der Bergschule in Heidenheim. Ihr Schulhof ist ihnen zu klein und zu schäbig; zum Glück gibt es "gleich um die Ecke eine Wiese, die seit Jahren niemand nutzt", sagt Carla. Ginge es nach ihr und ihren Klassenkameraden, würde daraus ein grüner Park mit einem kleinen Bach und vielen Tieren. Mit dieser Idee, die ihnen Platz eins unter den jüngsten Teilnehmern einbrachte, wollen sie jetzt zu ihrem Bürgermeister marschieren - und bei dieser Gelegenheit noch ein paar Vorschläge zur Verschönerung der Innenstadt loswerden.

Ausstellung

Die schönsten und originellsten Werke des Wettbewerbs "Baut auf uns!" sind vom 12. September bis zum 8. Dezember im Rahmen der Ausstellung "Organische Architektur" des Internationalen Forum Mensch und Architektur (IFMA) zu sehen.

Foyer des Kammermusiksaals der Philharmonie Berlin, Herbert-von-Karajan-Straße 1, 10785 Berlin, geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr.

Keine Lust auf Standardlösungen

"Kinder und Jugendliche haben oft keine Lust auf Standardlösungen, wie sie auf Spielplätzen und in Jugendzentren zu finden sind", sagt der Hamburger Architekt Professor Gert Kähler, der gemeinsam mit sieben Experten als Juryvorsitzender die Entwürfe der Kinder bewertete.

Auch Pauline, 15, Polina, 17, Polina, 18, und Marya, 15, aus Wuppertal haben ihre eigenen Vorstellungen. Sie würden liebend gern den alten, dreckigen Bunker im Stadtteil Ostersbaum umbauen. Die Spätaussiedlerinnen, die vor gut einem Jahr nach Deutschland kamen, stört nicht, dass es viel zu teuer wäre, in die meterdicken Wände Löcher für Fenster zu sprengen. "Wir würden den Bunker eh für Dinge nutzen, für die man kein Tageslicht braucht. Etwa für Discos, Fitnessraum, Sport und Spielsäle", sagt Polina.

Agatha Kozlowski, die im Rahmen eines suchtpräventiven und integrationsfördernden Projektes die Mädchen bei ihrem "Baut auf uns!"-Projekt unterstützt hat, ist stolz: "Dort, wo die Kids in eigener Sache mitbestimmen dürfen, gibt es weniger Planungsfehler und weniger Vandalismus. Denn wer seine Umwelt selbst gestaltet, kommt hinterher selten auf die Idee, sie wieder kaputt zu machen."

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Silke Gronwald

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