Eigentlich kannte Luciana Lira die Familie ihres Schülers Junior kaum. Nur bei einigen Schulveranstaltungen und Elternsprechtagen hatte sie Zully, die Mutter des Erstklässlers, den sie in Englisch unterrichtet, und ihren Ehemann kennengelernt. Dann kam am 1. April ein Anruf, der dazu führte, dass die Lehrerin aus Stamford im US-Bundesstaat Connecticut quasi zum Familienmitglied wurde.
An jenem Tag meldete sich die 30 Jahre alte Zully aus dem Krankenhaus – hochschwanger im achten Monat und mit Symptomen, die auf eine Infektion mit dem Coronavirus hindeuteten. Ihr Baby musste mit einer Notoperation auf die Welt geholt werden. Da sowohl Zully als auch ihr Mann Marvin an Covid-19 erkrankt waren und sich in Quarantäne begeben mussten, konnten sie sich nicht um das Neugeborene kümmern. In ihrer Not wandten sie sich an die Lehrerin. So kam es, dass sich Luciana Lira zusammen mit ihrem Mann seit mehr als einem Monat um das neue Brüderchen ihres Schülers kümmert.
Lehrerin übernimmt die Mutterrolle
"Ich habe nicht zweimal nachgedacht", sagte Lira dem Fernsehsender NBC. Der kleine Neysel kam fünf Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin zur Welt, ist aber munter und gesund. Auch eine Coronavirus-Infektion konnte bei ihm nicht festgestellt werden. Grundschullehrerin Lira sorgt in den ersten Wochen seines Lebens für ihn wie eine Mutter – weil die leibliche Mutter sie darum gebeten hat.
"Ich bin stolz, dass sie sich getraut hat, mich anzurufen", sagte Lira dem Sender CNN. "Von allen Leuten hat sie eine Lehrerin angerufen, wahrscheinlich weil sie wusste, dass sie mir vertrauen kann." Zullys Familie stammt aus Guatemala und sucht in den USA Asyl. Deshalb wollten sie den US-Medien auch ihren Nachnamen nicht nennen. Luciana Lira hat selbst noch einen elfjährigen Sohn zu Hause. Über Videochats hält sie die Mutter über die Entwicklung des Kleinen auf dem Laufenden.
Die leibliche Mutter hat ihr Kind seit der Geburt nicht mehr gesehen
Das war allerdings nicht immer möglich – die Covid-19-Erkrankung nahm bei Zully zunächst einen schweren Verlauf, sie musste an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Mittlerweile geht es ihr und ihrem Mann wieder besser. Bisher aber sind beide noch relativ schwach und auch noch nicht negativ auf das Coronavirus getestet worden.
Deshalb darf Mutter Zully ihr Baby nach wie vor nicht auf dem Arm halten – seit der Geburt hat sie ihr Kind nicht mehr gesehen. Luciana Lira hat aber Hoffnung, dass das "sehr, sehr bald" passiert. "Es ist mein größter Traum, dass dieses Baby seinen Vater, seine Mutter und seinen älteren Bruder trifft", sagte die Ersatzmutter zu CNN.