Eine Behauptung - eine Tatsache?
»Ich habe auch einmal versucht, ein StartUp auf die Beine zu stellen. Mit drei Philosophen zusammen. Wir hatten das totale Glück entdeckt, aber man hat uns gesagt, für Geisteswissenschaftler gäbe es kein Risikokapital.« Ein Witz, der nicht gut ankommt unter Münchner Studenten. Denn jetzt ist Schluss mit lustig: Ob BWL, Jura, Kommunikationswissenschaft oder Journalistik: Die Karriere steht auf der Tagesordnung. Man trifft sich nicht - man meetet. Wo hast du Praktikum gemacht, welche Kontakte hast du? »Also, ich habe gestern meine Mutter an die Börse gebracht.« Die gesellschaftliche Stellung wird in Visitenkarten gemessen. Den elektronischen natürlich. Ein Student mit geschlossenen Augen? Er schläft nicht. Ihm laufen gerade die Aktienkurse durchs Bild.
Jeder hat schon mal ein StartUp gegründet, war schon mal bei einem beschäftigt oder hat zumindest mal eins gesehen. Das Studium ist lediglich der Schlüssel zu einer höheren Position. Eine Sprosse auf der Karriereleiter - nicht das Fundament. Und zur Not wird's abgebrochen, dann gilt man eben forthin als flexibel. Das nimmt der Student ganz locker. Fast so locker wie das Schlange stehen. Wer über fehlende Nähe unter Studenten klagt, sollte sich getrost um überfüllte Seminare bewerben. Da wird Gemeinschaft noch groß geschrieben. Und es lohnt sich: So viele hübsch geschminkte Ellenbogen, bekommt man sein Leben nicht mehr vors Auge. Was heißt hier vordrängeln? Die geistige Elite nennt das »Aktives Anstehen«. Der Termin »Höflichkeit« wurde verschoben. Das wussten sie nicht? Wir hatten doch eine E-Mail geschickt! - Aha verstehe, sie konnten das Attachement nicht öffnen...
So geht's nicht! Man muss schon mithalten - das gilt auch für die Universität. Und prompt denkt man an der LMU darüber nach, sich in TUI umzubenennen. Nicht um die Nähe zur TU zu suggerieren, sondern vielmehr, um den Wünschen und Vorstellungen der Studenten zu entsprechen: Weniger Schlange stehen, Ganztags-Animation und Vollpension mit Abschluss nach zwei Jahren. Studieren als Pauschaltourist - die Universität als Reisebegleiter. Wir sind eben alle nur auf der Durchreise zum großen Geld: Gegenwart hindert uns an der Zukunft. Wir wollen weiterreisen - ins nächste Club-Dorf der Karriere. Wer das bedauert, wird verlacht. Und dann steht man da, als Moralapostel: Den Rucksack auf dem Rücken, den Lenker vom eigenen Fahrrad in der Hand, die Ellenbogenabdrücke der Mitstudenten im Gesicht. Es regnet und hinter einem schabt der bierfahnenumwehte Einheimische die Reste des eigenen Fahrrads von seiner Kühlerhaube. Auf einmal klingelt das Handy: »Meeting um 16.30 Uhr? Okay, bin gleich da.« Studenten leben? (cw)