In Münster fährt man mit dem Rad - wenn es nicht gestohlen ist
Fluchend steht Nico vor den Fahrradständern. Von seinem erst vor kurzem erworbenen, rostigen, aber funktionsfähigen Rad sind nur noch zwei durchgesägte Schlösser übrig. Einem Rad, das man im heimischen Sauerland bedauernd zum Sperrmüll gestellt hätte. In Münster hat er dafür noch 150 Mark bezahlt.
Jedoch eine lohnenswerte Investition, wenn das Rad nicht unfreiwillig den Besitzer gewechselt hätte: Die Institute der Westfälischen Wilhelms-Universität sind über die ganze Stadt verteilt. Wer da nicht immer zu spät zu seinen Vorlesungen und Seminaren kommen will, tritt eben in die Pedale. Das ist in Münster auch wesentlich weniger gefährlich als in anderen Städten. Nahezu jede größere Straße verfügt über einen Fahrradweg, Fahrradampeln regeln den Verkehr und in viele Einbahnstraßen dürfen die Radler verkehrt herum einbiegen. Vielleicht werden deshalb 40 Prozent aller Fahrten in der Stadt mit dem Fahrrad bestritten. So hat man in Münster manchmal das Vergnügen, unliebsame Dozenten überholen zu dürfen.
Das Wetter hält die wenigsten Münsteraner vom Rad fahren ab: Im Winter radeln sie mit Schal und Handschuhen, im Sommer in luftiger Kleidung und wenn es regnet, notfalls auch mit Regenschirm. Kein Wunder also, dass Fahrräder das Stadtbild beherrschen. Überall in der Innenstadt stehen sie in unterschiedlich weit fortgeschrittenem Rostprozeß herum. Oft liegen sie auch umgefallen da, denn die Fahrradständer reichen für all diese Gefährte bei weitem nicht aus. Und weil man irgendwann den Bahnhofsvorplatz vor lauter Fahrrädern gar nicht mehr sah, hat die Stadt 1999 vor dem Bahnhof ein Fahrrad-Parkhaus mit 3.000 Stellplätzen eröffnet. Bis 23 Uhr können dort Räder gegen eine geringe Gebühr bewacht und trocken untergestellt werden. Überall darf man seinen Drahtesel aber auch in Münster nicht abstellen. Wer sein Rad gegen das nächste Straßenschild bindet oder es zu lange in der Nähe des Bahnhofs parkt, muss damit rechnen, dass Stadtbedienstete sein Schloss knacken und das Rad zum Fundbüro in der Engelstraße 49/51 bringen.
Abends wenn sich die Studenten in Münsters Kneipen von ihrem anstrengenden Leben erholen, machen auch die meisten Busfahrer Feierabend. Zwar fahren vom Bahnhof und einigen anderen Orten in der Innenstadt Nachtsammeltaxis ab, die die Partygänger für ein paar Mark nach Hause bringen. Fahrrad fahren ist aber sicherlich gesünder und billiger. Es sei denn, man fährt auf der falschen Straßenseite oder ohne Licht. Wenn einen die Polizei dabei erwischt, kostet es 20 Mark. Gerade im Spätherbst stehen die grünen Freunde am Straßenrand und machen Kontrollen oder radeln selbst durch die Innenstadt. Gegen Fahrraddiebstahl sind aber auch sie machtlos. Von den 5.669 gestohlenen Fahrrädern, die der Polizei 1999 gemeldet wurden, immerhin macht das 21,2 Prozent aller erfassten Straftaten in Münster aus, konnte sie nur 451 wiederfinden. Schlechte Chancen also für Nico. Der wird in nächster Zeit erst mal auf den Bus umsteigen müssen. (tt)