Jedes Mal, wenn die Zweige zittern, wird er nervös. Ziemlich oft am Tag blickt Christian Dreyer irgendwo zu irgendwelchen Bäumen - und checkt den Wind.
Spätestens ab Stärke fünf gibt es für den 39-jährigen Hamburger kein Halten mehr. Er springt in seinen VW-Bus und düst zur Nordsee. Im Nu ist am Strand das Equipment klargemacht, flott geht es raus in die Brecher. "Es ist einfach geil, übers Wasser zu gleiten, herumzuwirbeln, auf den Arsch zu fallen und vor Freude zu brüllen", schwärmt der Windsurfer. "Ich brauche das wie die Luft zum Atmen."
Am Wochenende ist Dreyer unterwegs, werktags nach Feierabend, im Urlaub sowieso. Und wenn es mitten in der Woche mittags plötzlich kräftig weht, bittet der angestellte Grafikdesigner schon mal seinen Chef um einen halben freien Tag. Selbst im Winter geht's aufs Wasser - mit einer dicken Isolierschicht Penatencreme im Gesicht. Dreyers Wagen vorm Haus ist ständig einsatzklar, gepackt mit Brettern, Segeln und Neoprenanzügen.
"Wie das oft nervt!"
, stöhnt Ehefrau Kerstin. So manches Mal hat sie am Strand im Bus gesessen und auf ihn gewartet. Wenn er endlich kam, dann meist nur, um ein neues Segel zu holen. Vor einiger Zeit fuhr Christian mit einem Kumpel nach Südafrika zum Surfen, blieb fünf Wochen lang. Nachdem er wieder in Hamburg gelandet war und das Wetter dort sah, fuhr er gleich am nächsten Tag weiter zur Nordsee. "Ich war total sauer, hab geheult und ihn ein paar Tage nicht in die Wohnung gelassen", sagt Kerstin.
Weil er selbst an Großvaters Geburtstag unbedingt aufs Wasser wollte und dort die Zeit vergaß, kam er erst zur Feier, als fast alles schon vorbei war. Frau, Mutter und Schwester haben ihn ins Gebet genommen und bearbeitet, dass es so nicht weitergehe. Mal wieder stand die Beziehung zu Kerstin auf der Kippe; sie wurde sowieso dauernd gefragt, wie sie es denn nur mit solch einem Typen aushalten könne. Selbst auf der Hochzeitsreise konnte es Christian nicht lassen. Nach Andalusien fuhren sie und hinterher für einen Abstecher nach Tarifa - zum Surfen.
Lorenzo Guirino, 41, Schlosser aus Leichlingen
Seine Frau Anna, 38, arbeitet als Haushälterin. Die beiden haben drei Kinder: eine Tochter und zwei Söhne, die genauso fußballverrückt wie ihr Vater sind: "Ich habe gelernt, mit der Macke von Enzo zu leben. Aber es gab Zeiten, da war ich tief gekränkt. Ich dachte: Ist ihm der Scheißfußball wichtiger als ich? Es ging schon so weit, dass er nicht in die Kirche zur Kommunion unseres Neffen kam. Oder es gab ein Länderspiel, da hat er den Fernseher mit Kerzen bestückt, damit Italien gewinnt! Der Gip fel war ein WM-Spiel: Ich musste das Elfmeterschießen angucken, während er draußen war. Er hätte sonst einen Herzinfarkt bekommen. Heute sehe ich viel mehr Fußball als früher. Und ich habe mich schon dabei erwischt, dass ich an manchen Tagen meine Küche bis zum Anpfiff fertig haben will, um mitzuschauen. Wenn ich dann was sage, heißt es, ich hätte eh keine Ahnung. Enzo während eines Spiels verführen? Null Chance. Vor dem Abpfiff läuft bei diesem Mann nix."
Leidenschaft, die Leiden schafft. Wenn einer besessen seiner Passion frönt, kann es für den Partner und die ganze Familie zur Hölle werden. Frust und Zoff sind da noch die harmloseren Folgen. Zeitaufwendige Hobbys oder Marotten, aber auch schon kleine ausgeprägte nervige Ticks und Macken, zunächst vielleicht als interessant und amüsant empfunden, können selbst die verständnisvollste Beziehung zum Bersten bringen. Die Liebestöter lauern im Alltag in mannigfacher Weise.
Da ist ein Heer von Männern jeden Samstagnachmittag auf Fußballdroge. Sitzt vor der Glotze, pilgert in die Stadien oder kickt selbst irgendwo im Freizeitverein. Andere Menschen verschwinden stundenlang im Keller, in der Garage oder in der Natur: Heimwerker und Modellbauer, Autoschrauber und Motorradfreaks, Angler und Bergkraxler. Es gibt Typen, die abends ihre Teleskope aufbauen und nächtelang in die Sterne gucken, ewig vorm Funkgerät hocken und mit der ganzen Welt quatschen oder sich am Wochenende zu Ritterspielen auf- und davonmachen. Vor allem Frauen fahren aufs Reiten oder Tanzen ab, verschreiben sich mit Haut und Haaren der Esoterik. Und manche werden getrieben vom unstillbaren Verlangen, immer neue Klamotten oder Schuhe zu besitzen. Oder die Möbel ständig umzustellen. Stoff für Komödien. Wie im Kinohit "Ein seltsames Paar": Felix, gespielt von Jack Lemmon, hat einen ausgeprägten Putz- und Kochfimmel. Sein Mitbewohner Oscar hingegen, alias Walter Matthau, ist eine Schlampe, bei dem eine verfaulte Banane schon mal drei Tage herumliegen darf. Natürlich geht's nicht gut, kommt's zu handfesten Auseinandersetzungen; das Publikum amüsiert sich köstlich.
Die Realität ist jedoch bisweilen tragisch. "Ehefrau verbot Skat und Bier - erschossen!" meldete "Bild". Der ehemalige Kapitän Hans R. von der Insel Fehmarn, so berichtete das Blatt, liebte das Kartenspiel und die Schnäpse. Seine Frau Brunhilde hasste die Zockerei und nörgelte ständig. Eines Nachmittags, als die Gattin auf dem heimischen Sofa döste, schlich der Rentner torkelnd mit einer Pistole heran und feuerte.
Fest steht: Es ist eine Illusion zu glauben, in einer Beziehung schwängen die Seelen beider Partner in immer währendem harmonischen Gleichklang. Normalerweise sind unterschiedliche Interessen eine echte Bereicherung fürs Paar. Doch die grundlegenden Fragen: "Passen wir überhaupt zusammen?", "Ist ein Miteinander angesichts großer Interessenunterschiede überhaupt sinnvoll?" werden heute hartnäckiger gestellt denn je. "Das Bedürfnis nach Individualität bekommt immer mehr Gewicht, die Opferbereitschaft für die Beziehung nimmt ab", sagt Michael Mary, Paar-Berater und Buchautor aus dem mecklenburgischen Schadeland. "Liebe wird längst nicht mehr definiert als ,Du bist mein ein und alles", sie ist eine Sache neben anderen geworden."
Die Südafrikanerin Sally Ann Suter, 34
Sie ist seit vier Jahren mit dem Speditionskaufmann Dirk Jahnke, 35, verheiratet. Das Ehepaar hat zwei Kinder und lebt in Hamburg
Dirk: "Seit ich 15 bin, sammle ich Vinylplatten, heute sind es wohl um die 1500. Einmal im Monat lege ich als DJ in einem Club auf, früher jedes Wochenende. Ich weiß, dass Sally manchmal genervt ist von meiner Musik. Dann gehe ich auch Kompromisse ein und setze den Kopfhörer auf. Ich richte mir im Keller gerade mein "Studio" her. Totale Ruhe macht mich einfach nervös." - Sally Ann: "Ich komme zwar auch aus der House-Szene, aber jetzt habe ich den ganzen Tag den Lärmpegel und die Action der Kinder, da brauche ich keinen Beat, der mich treibt. Ich höre Dirks Musik gerne, aber wenn es nach mir ginge, nur am Wochenende. Ich habe das Radio tagsüber leise an, was mir genügt. Ich mag Ruhe und Stille. Bei s bei der Musik ja vor allem ums Mixen. Und das geht mir sehr oft auf den Geist."
Wie aber kann man diese immer schwieriger werdende Balance zwischen eigener Wunscherfüllung und trauter Gemeinsamkeit schaffen? Wie ist zu verhindern, dass das Glück des einen zur Depression des anderen wird? Vielleicht sind Esther und Ben Brost ein positives Beispiel. Er liebt sie - und seinen Flugsimulator. Ein ganzes Zimmer in der gemeinsamen Berliner Wohnung hat er dafür in Beschlag genommen, vier Computer mit Monitoren stehen da, alle vernetzt, ein "Steuerhorn" und ein "Ruder- und Schubregler". Dort hockt der 34-jährige Musikmanager in seiner Freizeit vor den Geräten und über Karten, vertieft in Flugplanung, Treibstoff-, Routenberechnung, Wetterbericht und dem Flug mit einer Boeing 767. In Echtzeit, versteht sich. Sechs Stunden dauert - alles inklusive - etwa ein Trip von Berlin nach Gran Canaria. Und er macht manch weitere Tour. "Es fasziniert mich ungemein, diese technische Herausforderung", sagt er.
"Beknackt, langweilig und scheißteuer"
, findet Esther das, was ihr Mann treibt, und grinst. Auch für seinen Wunsch, ihm als Stewardess mal den Kaffee zu servieren, hat sie nur ein müdes Lächeln übrig. Sie sieht das Geschehen im Computerzimmer ironisch-distanziert. Ein bisschen "blöde" sei es natürlich schon, wenn am Wochenende Freunde kommen und nur der Simulator Thema ist. Oder wenn sie allein essen müsse, weil gerade ein Start angesagt ist. Neulich wurde sie richtig sauer. Spätabends kam sie mit schweren Koffern beladen von einer Reise zurück. In der Wohnung brannte Licht. Auf ihr Klingeln an der Haustür jedoch öffnete niemand. Also kramte sie den Schlüssel raus und schleppte das Gepäck in den dritten Stock.
Oben saß ihr Mann vor seinem geliebten Gerät, Kopfhörer auf. Er bekam auch nicht mit, als sie das Telefon neben ihm wegnahm und hinter ihm eine Lampe einschaltete. Nachdem er eineinhalb Stunden später irgendwo "gelandet" war und sie im Schlafzimmer entdeckte, war er baff und machte ihr auch noch Vorwürfe, warum sie sich denn nicht bemerkbar gemacht habe. Einen Tag lang war Funkstille.
Dann aber war aller Krach verflogen. "So ist er halt, ich mag ihn ja", sagt Esther. Sie ist keine Frau, die dauernd kuscheln muss, hat jede Menge eigene Interessen. "Oft bin ich happy, Ruhe und Zeit für mich zu haben." Außerdem ist sie froh, dass er nur am Simulator fliegt und nicht wirklich, dann wäre er ja tatsächlich weg. Und Ben ist dankbar, dass sie ihn lässt. Gelegentlich lädt er sie "als Ausgleich" zum Essen ins Restaurant ein oder überrascht sie mit kleinen Aufmerksamkeiten. "Schade, dass sie nicht auch so 'ne Macke hat", sagt er, "dann könnte ich mich für ihre Toleranz wirklich revanchieren."
Wie zwei Menschen den Konflikt managen
können, dafür gibt es kein Patentrezept. Die psychische Konstitution der Beteiligten spielt eine wichtige Rolle. Und das Gefühl, ob sich jeder gleichberechtigt oder einer benachteiligt fühlt. Wie sehr etwas nervt, hängt dabei oft gar nicht von der Dauer und Energie ab, mit der es betrieben wird. Schon kleinste Alltagsgewohnheiten können den anderen fix und fertig machen, immer wieder Haare im Ausguss oder permanent hochgeklappte Klodeckel schwerste Krisen auslösen. Der passionierte Schnäppchenjäger wird jeden Einkaufsmuffel zur Weißglut bringen und der Videofan, der im Urlaub überall draufhält, jeden Heimkino-Hasser.
"Es ist absolut sinnlos, dem anderen seine Eigenart einfach verbieten oder ausreden zu wollen", warnt Michael Mary, "jeder hat ein Recht auf seine Macke." Man suche sich seine Vorlieben schließlich nicht selbst aus, sondern habe sie halt - aus welchen Gründen auch immer. "Hinter einem Hobby steckt oft irgendetwas Tiefgründigeres", weiß der Berliner Psychoanalytiker Josef Auerbach, "für den, der es betreibt, bedeutet es oft die Erfüllung von tiefen seelischen Bedürfnissen, die ihm sonst im Leben versagt bleiben."
Uwe Deets und Sibylle Gassner
Elf Jahre waren Uwe Deets und Sibylle Gassner verheiratet. Uwe, 41, ist Cutter. Sibylle, 42, arbeitet als PR-Beraterin. Die beiden Kinder leben abwechselnd bei ihr und ihm
Uwe: "Ich gebe zu, dass ich relativ viel abwasche, so zwei-, dreimal am Tag. Es fing an, als die Kinder kamen, Sibylle nicht mehr arbeitete und ich mich dennoch für den Haushalt verantwortlich fühlte. Ich kam zum Beispiel um 23 Uhr von der Arbeit nach Hause und dachte, oh, diese Spüle müsste unbedingt noch mal geputzt werden, ich konnte sie nicht so lassen. Sibylle hatte die Angewohnheit, den Stöpsel zu ziehen und das war's." - Sibylle: "Wir harmonierten absolut in den großen Dingen des Lebens, bis heute. Tatsächlich gescheitert ist unsere Beziehung an den kleinen Dingen des Alltags, den Macken. Davon hatten wir beide so einige. Wir haben zu spät erkannt, dass jeder seine eigene Sicht von Ordnung und anderen Dingen haben darf. Als wir das merkten, war es zu spät, die Liebe schon tot."
Somit sei ein Hobby statt Be- zunächst mal Entlastung für eine Beziehung. Anderenfalls nämlich würde die Bedürfnisunterdrückung zu manchem Ärger und Krach führen. Selbst das Nörgeln des anderen an der Marotte könne in gewisser Weise ein Segen sein. "Es kann eine Art geheime Übereinkunft bedeuten, um eine stabile Beziehung zu führen", sagt Auerbach. "So kann man Wünsche, Sehnsüchte und auch Agressivität in ein Gehege einschließen und gemeinsam wie in einem Zoo betrachten." Dann haben im Glücksfall die wilden Tiere ein Zuhause und wüten nicht überall.
Um dem Problem die Spitze zu nehmen, hilft es meist schon, genau zu analysieren, warum die Marotte des anderen so nervt. Ist es der Mangel an Aufmerksamkeit? Ist es das Gefühl fehlender Nähe? Oder ist man vielleicht einfach nur sauer, weil man mit dem alltäglichen Haushalts- und Familienkram allein gelassen wird? Wie auch immer - eine Lösung lässt sich nur durch Verhandeln finden. "Jeder Partner hat sowohl Interessen an der Beziehung als auch Interessen an der eigenen Selbstverwirklichung. Dabei bewertet und gewichtet jeder diese verschiedenen Interessen anders", sagt Paar-Berater Mary. Also kommt jedes Duo zu anderen Ergebnissen, Übereinkünften und Regeln.
Christian Dreyer, 39, Grafik-Designer in Hamburg
Seine Frau Kerstin, 38, arbeitet als Diplomkauffrau. Die beiden haben zwei Kinder - und ein Problem: seine Surf-Leidenschaft
"Als ich 16 war, fing es an. Damals haben meine Kumpel und ich uns die Bretter noch selbst gebaut. Eine harte Belastungsprobe war's für die Eltern, so wie wir mit dem Kunststoff und dem Lack rumgesaut haben. Seither komme ich vom Surfen nicht mehr los, es ist schon mehr als ein Hobby. Oft bin ich schon beim Frühstück nervös und schiele nach dem Wind. Ich kann mich halt nicht nach dem Terminkalender richten, das Wetter ist ausschlaggebend. Wie viel Tausende von Stunden ich draußen war, weiß ich nicht. Kerstin hat sich dran gewöhnt, ist aber oft auch genervt. Sie hat schon viel mit mir mitgemacht, aber sie hat auch etwas davon; denn wenn ich vom Wasser komme, habe ich meist die beste Laune. Ich hatte ein Angebot, als Surf-Instructor in Ägypten und anderen traumhaften Revieren zu arbeiten; das habe ich aber wegen ihr nicht gemacht."
Mary kann aus eigenem Erleben berichten. Seine Frau hat Pferde und reitet. "Wenn ich sagen würde: Die Pferde kommen weg, dann wäre auch meine Frau weg." Er selbst liebt das Meer und angelt leidenschaftlich. "Wenn sie sagen würde: Du hörst auf zu angeln, wäre ich weg. Also haben wir die Vereinbarung getroffen, uns gegenseitig den nötigen Freiraum zu lassen." Doch wenn man selbst nicht weiterkommt und sich zu sehr verhakt? Dann kann eine Paartherapie angeraten sein. Die Quadratur des Kreises aber ist auch dort nicht machbar: Vielleicht findet sich ein Weg zur Lösung des Problems, vielleicht aber ist auch nur Trennung der einzige mögliche Ausweg.
Besonders bedrohlich wird es
, wenn die Marotte eines Partners so fanatisch ist, dass kein Verhandlungsspielraum mehr bleibt. Das passiert bei manchem, der sich Sammeln als Hobby auserkoren hat. Da leben Zeitgenossen, die macht nichts glücklicher als Briefmarken oder Überraschungseier, Bierdeckel oder Waffen, Teddybären oder Uhren, die sie zu Hause anhäufen. Rasch kann sich, was als kleine Spinnerei begann, zu einem regelrechten Zwang auswachsen. Plötzlich investiert man all seine Freizeit, um Flohmärkte abzuklappern. Erst in der Umgebung, dann im ganzen Lande, schließlich weltweit. Und was blättert man irgendwann nicht alles hin für das Objekt seiner Begierde! Summen, die man sich meist nicht leisten kann oder einen gar in große Schulden stürzen.
"Wenn ein Tick selbst für denjenigen, der ihn hat, von Genuss in Leid umschlägt, ist er behandlungsbedürftig", sagt Katarina Stengler-Wenzke, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uni-Klinik Leipzig. Eine solche Zwangserkrankung zeigt sich nicht nur im Horten von Gegenständen. Es gibt Menschen, die müssen immer wieder kontrollieren, ob der Herd ausgeschaltet ist, die Fenster und die Wohnungstür abschlossen sind. Manch einer steht um vier Uhr in der Früh auf, um punkt acht beim Job zu sein.
Andy Wesseloh, 39, Werbemittelimporteur
Seine Frau Kerstin, 38, hat als Center-Managerin gearbeitet. Sie kümmert sich im Moment hauptsächlich um die beiden kleinen Töchter
Kerstin: "Ich mag keinen Fisch, da muss ich spucken. Muscheln finde ich supereklig, auch Scampi und Krabben und so was. Petersilie ist auch ganz schlimm. Paprika mag ich nicht, Rosinen auch nicht. Und meine Apfelschorle bestelle ich im Lokal so: Ich hätte sie gerne ohne Zitrone und mit viel Wasser und wenig Eis. Das ist doch nicht schlimm, oder? Andy und unseren Freunden ist es peinlich, wenn ich bei den Kellnern obendrein die Gerichte variiere. Wir haben aber auch Sachen gefunden, die wir beide mögen. Wir lieben zum Beispiel Grillen. Und asiatisches Essen aus dem Wok, das kann Andy sehr gut. Er kocht sehr oft, hat einen Kochbuchtick. Er tut natürlich keine Paprika rein oder Meeresfrüchte. Im Grunde unseres Herzens sind wir jedoch beide sehr entspannte Charaktere."
"Eigentlich habe ich Putzen gehasst", sagt Sandra Peters (Name von der Redaktion geändert), "aber irgendwie ging es mit dem Einzug in unser neues Haus los." Die 39-jährige Bankkaufrau aus Celle wienerte plötzlich immer öfter die Wohnung. "Besucher mussten die Schuhe ausziehen, aber auch das hat bald nicht mehr gereicht; wenn der Besuch wieder weg war, habe ich stundenlang gesaugt und gewischt, Zentimeter für Zentimeter die Teppiche geschrubbt." Es wurde noch schlimmer. Bald trug sie außer Haus und zu Hause immer verschiedene Kleidungsstücke. "Wir hatten eine Art Dreckschleuse im Flur, eine Ecke, wo wir uns umzogen." Besuch gab es längst nicht mehr. "Ich konnte nicht anders, ich war fertig, habe oft geheult, ein wahnsinniger Leidensdruck hat sich aufgebaut."
Und ihr Mann? "Der hat alles mitgemacht, ein Weichei war er", sagt sie, "er konnte mir nicht helfen." Als sie sich endlich einem Therapeuten anvertraute, waren zwei Jahre vergangen. Mit professioneller Hilfe und großer eigener Energie gelang es ihr schließlich, den Zwang zu besiegen. Putzen und Dreck sind heute kein Thema mehr. Die Folge aber: Ihre Ehe ging kaputt. "Irgendwie hatte der Zwang wohl unbewusst den Sinn, die Beziehungsprobleme zu verdrängen, und die kamen nun auf den Tisch", sagt sie. Sandra Peters ließ sich scheiden; inzwischen ist sie neu verheiratet - und arbeitet ehrenamtlich als Beraterin bei der Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen.
Je eher ein Leidender kompetente Hilfe aufsucht
, umso besser. Doch solange er sich verweigert, gilt für den anderen: sich nicht mit einbeziehen lassen! "Wenn es beispielsweise jemand nicht schafft, wegen eines Kontrollzwanges das Haus zu verlassen, sollte der Partner sagen: "In fünf Minuten gehe ich", und dann auch wirklich gehen", sagt Stengler-Wenzke. Abgrenzen ist wichtig, auch auf die Gefahr hin, dass Konflikte hochkommen. "Und nicht zum Komplizen werden", rät die Leipzigerin.
Auf keinen Fall den Zwang noch in irgendeiner Weise unterstützen! Und vor allem: Beratungsstellen kontaktieren. Die Deutsche Gesellschaft für Zwangserkrankungen in Osnabrück vermittelt Selbsthilfegruppen und Therapeuten. Ähnliches gilt, wenn andere psychische Erkrankungen eines Partners das gemeinsame Leben zur Hölle machen. Etwa Depressionen, Angstzustände oder Phobien.
Die Dreyers in Hamburg haben das Problem mit der Surf-Macke von Christian aus eigener Kraft in den Griff gekriegt - dank Kerstins Beharrlichkeit. Nach endlosen Krächen und Diskussionen, stressigen und kriselnden Jahren. Er konnte nicht lassen von seinem Spleen, ist inzwischen aber ein ganzes Stück ruhiger geworden, besonders seit die beiden Kinder da sind. "Man muss ihn lieben, um das mitzumachen, und ich liebe ihn halt", sagt Kerstin, "Er ist ein spontaner, energiegeladener und interessanter Typ, und davon profitiere ich. Und nach seinem Sport macht er mit mir und den Kleinen ja auch noch eine Menge." Ja, sie stecke um einiges zurück. "Aber ich kann mit seinem Tick leben, weil ich es am Meer auch toll finde und unheimlich gern lese." Außerdem hat sie über die Jahre gelernt, ihr "eigenes Ding" zu machen; sich mit Freundinnen zu treffen oder tanzen zu gehen - manchmal bis morgens um sieben Uhr.
So gelassen ist sie inzwischen, dass sie ihrem Mann zum Geburtstag einen "Kite"-Kurs geschenkt hat. Da lernt er nun, wie man nicht nur mit einem Segel, sondern auch noch mit einem Lenkdrachen surfen kann.
Mitarbeit: Anette Lache/ Karolin Leyendecker