Ein Bild und seine Geschichte Der König der Indiskretion

Von Philipp Gülland
Erich Salomon ist eigentlich Jurist, dann gründet er ein Taxinunternehmen und landet in der Werbung. Schließlich erfindet der untersetzte Mann mit dem liebenswürdigen Lächeln den Bildjournalismus. Auf Augenhöhe verkehrt er in den inneren Zirkeln der Macht. In seinen nur vier aktiven Jahren wird der Mann mit der Ermanox-Kamera zur Legende.

"Ah! Le voilà! Le roi des indiscrets!" schallt es durch den Quai d'Orsay. Der Empfang am Rande der Völkerbundkonferenz 1931 in Paris ist in vollem Gange, und Aristide Briand, französischer Außenminister, ist hoch erfreut - schließlich hat er eine Wette gewonnen. Fröhlich-verschmitzt blinzeln seine Augen hinter dem ausgestreckten Zeigefinger, der in die Kamera weist. Hinter dieser Kamera steht Erich Salomon, der "König der Indiskretion".

Während sich die Polit-Clique prächtig amüsiert, drückt Salomon auf den Auslöser seiner kompakten und lichtstarken Ermanox - der Moment ist auf Film gebannt. Fotografen sind im "Backstage-Bereich" der Weltpolitik eigentlich nicht erwünscht. Aber einer würde bestimmt da sein, da ist sich Briand sicher. "Zu einer Völkerbundkonferenz gehören dreierlei: ein paar Außenminister, ein Tisch und Salomon", sagt der Franzose. Er soll Recht behalten. Natürlich ist der Berliner Gentleman-Reporter da.

Mit Frack und Kamera gehört Salomon fast schon zum Inventar, wenn Politik gemacht wird. Unter den Mächtigen der Welt bewegt er sich wie ein Fisch im Wasser, unsichtbar und stets zur Stelle, um Wichtiges - oder eben Komisches - zu dokumentieren.

Auf Augenhöhe mit den "Opfern"

Mehrsprachig, hoch gebildet und mit den richtigen Umgangsformen ausgestattet, wir er von seinen "Opfern" - wie er sagt - als ihresgleichen anerkannt. So kann er sich den Polit-Größen auf Augenhöhe nähern, den Rest erledigt er mit Diskretion und Einfallsreichtum.

Um seine Kamera zu verbergen, wenn es nötig wird, denkt er sich Einiges aus. Ein manipuliertes Hörgerät, verschiedene Koffer, ein schwarzer Armverband und ausgehöhlte Bücher lassen ihn unentdeckt arbeiten. Salomon ist nicht nur ein Fisch, er ist ein visueller Raubfisch.

Erich Salomon, 1886 in Berlin geboren, studiert zunächst Jura. 1925 gründet er in Berlin ein Taxiunternehmen. Zwei batteriebetriebene Autos und ein Motorrad mit Beiwagen umfasst sein Fuhrpark, die finanzielle Lage des Familienbetriebs ist angespannt.

Star der Branche

"Dr. der Jurisprudenz gibt Ihnen während der Beförderung Instruktionen über die Regierungsmaßnahmen zur Währungsumstellung von der Deutschen Mark zur Rentenmark" wirbt Salomon für seine Dienste und weckt so das Interesse des Ullstein-Verlags. Kurze Zeit später arbeitet der findige Taxi-Jurist in der Werbeabteilung des Hauses. Bald darauf veröffentlicht der leidenschaftliche Hobby-Fotograf seine erste Gerichtsreportage und macht 1928 den Bildjournalismus zum Hauptberuf. Der Beginn einer kurzen und steilen Karriere: Innerhalb weniger Jahre revolutioniert Salomon die Fotografie, wird in deutschen und internationalen Blättern gedruckt und avanciert zum Star der Branche.

In Theresienstadt ermordet

Die Machtergreifung der Nazis zwingt den jüdischen Journalisten ins holländische Exil. Salomon und seine Familie überleben den Holocaust nicht, sie werden denunziert und 1944 im KZ Theresienstadt ermordet.

Was bleibt, ist Salomons Erfindung: mit List, Fingerspitzengefühl und einer Prise kaltschnäuziger Eleganz authentische, oft intime Augenblicke des Zeitgeschehens erhaschen - großer Bildjournalismus eben.