Ein Bild und seine Geschichte Foto-Pionierin kämpft um Gandhi-Bild

Von Philipp Gülland
Er war die Ikone des gewaltlosen Widerstandes, sie die erste Frau in einer Männerdomäne. 1946 porträtiert Margaret Bourke-White den legendären Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi. Ein Bild, um das die Fotoreporterin ebenso kämpfen musste wie Indien um seine Freiheit.

Das Spinnrad füllt den Vordergrund. Eine schlichte, fragile Konstruktion - hölzerne Arme wie Sonnenstrahlen, umspannt von groben Fäden. Dahinter begrenzen weiß getünchte Lehmwände den Raum, diffuses Licht fließt durch ein Fenster über die handgeknüpften Teppiche und den hageren Mann mit nacktem Oberkörper, der darauf sitzt. Mahatma Gandhi hat den Körper eines Asketen. Gehalten von der Nase und den leicht abstehenden Ohren schmückt eine Nickelbrille seinen geschorenen Kopf. Der politische Führer des nach Unabhängigkeit strebenden Indiens ist in eine Schrift vertieft. Jahre des Kampfes liegen hinter ihm, sie sind ihm anzusehen - gnadenlose Jahre, gnadenlose Kämpfe. Für seinen Traum hat Gandhi viel ertragen müssen.

Auch Margaret Bourke-Whites Leben war vor allem Kampf. Die Fotoreporterin gilt als Ausnahmeerscheinung auf Männergebiet - eine Exotin: argwöhnisch beäugt, zuweilen belächelt, doch überaus erfolgreich.

1904 in New York geboren, feiert sie Anfang der Dreißiger Erfolge als Industriefotografin, darf bald als erste westliche Journalistin überhaupt sowjetische Industrieanlagen fotografieren. 1936 ist sie Gründungsmitglied der Illustrierten "Life", dokumentiert Staudammprojekte, klettert auf Wolkenkratzer und zieht als einzige Journalistin mit der US-Armee in den Zweiten Weltkrieg. Bourke-White und ihr Werk spielen in einer Liga mit Legenden der Branche wie Robert Capa, Henri Cartier-Bresson und W. Eugene Smith. Allerdings werden die Werke ihrer Kollegen häufiger ausgestellt.

Bourke-White, so sagen viele, sei die erste erfolgreiche Frau in der Männerdomäne Fotojournalismus gewesen und habe dabei ihre schillernde Persönlichkeit als Werbemittel eingesetzt. Zu ehrgeizig für eine Frau, wird ihre Biografin Vicki Goldberg 1986 urteilen und ihr Gefühlskälte attestieren. Ein abschätziges Verdikt, dem sich heute nur noch wenige anschließen mögen. Fest steht, Bourke-White ist eine Ausnahme-Fotografin: technisch versiert, visuell brillant, mutig, hartnäckig und charmant prägt sie die Reportagefotografie nachhaltig. Ihr Mantra "I will be a success" hat sie weit gebracht.

Fotografischer Dreisprung

Für das Magazin "Life" dokumentiert sie 1946 Indiens Endspurt zur Freiheit. Für die 42-Jährige keine leichte Aufgabe. Mit Geduld und Hartnäckigkeit arrangiert sie schließlich einen Termin mit Gandhi. Der spirituelle und politische Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung lebt zurückgezogen, sein Alltag ist ein festes Gefüge aus Schriftstudium, Meditation und strikter Askese. Das Porträt wird zur Herausforderung. "Wenn Sie Gandhi mit dem Spinnrad fotografieren wollen, lernen Sie es zu benutzen", verlangt dessen Sekretärin. Bourke-White darf nicht mit Gandhi sprechen, es ist sein Tag der Stille.

Da der studierte Jurist helles Licht ablehnt, darf sie nur drei Blitzbirnen zünden. Das Spinnrad - Symbol des indischen Freiheitskampfes - im Vordergrund plaziert, drückt sie den Auslöser. Die erste Blitzbirne versagt, das feuchtwarme Wetter des Subkontinents hat ihr zugesetzt. Beim zweiten Versuch vergisst sie den Verschlusschieber der Filmkassette, erst die dritte Belichtung ist erfolgreich.

Es ist ein Bild, um das Bourke-White gekämpft hat. In einem engen Korridor zwischen den Auflagen Gandhis und dem Zustand ihrer Ausrüstung vollführt sie einen gewagten fotografischen Dreisprung und landet einen Treffer: Das Porträt schlechthin einer der prägendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. "I will be a success" wird sie dabei wohl gedacht haben.