Ein Bild und seine Geschichte Ikonen im Inferno

Von Philipp Gülland
Frühjahr 1991: Kuwait steht in Flammen. Fast 1000 Quellen haben Saddams Soldaten in gigantische Fackeln verwandelt. Salgado setzt den Brandbekämpfern ein Denkmal.

Ölgötze ist angesichts der Geschichte ein unpassendes Wort, aber es drängt sich auf beim Anblick dieses ausruhenden Mannes. Völlig erschöpft sitzt er im schwarzen Schlamm, an das Rad eines Baufahrzeuges gelehnt, am ganzen Körper von einer klebrig-glänzenden, dunklen Schicht überzogen: Öl, Schweiß, Sand, Tränen lassen ihn wirken wie eine Bronzefigur. Das traurige Arbeiterdenkmal wartet auf Nachschub, denn angesichts des gewaltigen Infernos, das er zu bekämpfen versucht, fehlt es an fast allem: Löschwasser, Spezialgerät, Schweißbrenner und Bohrköpfe müssen über weite Strecken herangeschafft werden, bis zu 300 Meter hoch schlagen die Flammen, es ist teilweise so heiß, dass der Wüstensand zu Glas schmilzt, Kilometerhohe Rauchsäulen türmen sich über brennenden Bohrlöchern.

"Ölwinter"

Er ist einer jener Handvoll Haudegen, die das scheinbar Unmögliche versuchen: Die Ölbrände löschen. Eine Aufgabe, für deren Bewältigung der amerikanische Brandspezialist Paul "Red" Adair - laut stern "der berühmteste Ölfeuerwehrmann der Welt" - mit zwei bis drei Jahren rechnet. Die Zeit drängt, denn was hier brennt, ist das kostbare Blut einer automatisierten Gesellschaft: Dichter Rauch verdunkelt den Himmel, sorgt für einen Temperatursturz in der Golfregion, noch im fast 3000 Kilometer entfernten Kaschmir fällt schwarzer Schnee, über den Wüsten und Savannen Ostafrikas bringen die Wolken schmutzigen Regen - "Ölwinter". Wissenschaftler befürchten weitreichende Folgen: "anormale Wetterabläufe", schwere Umweltschäden, gesundheitliche Risiken, ein Desaster unabsehbaren Ausmaßes zeichnet sich ab, jeder Tag zählt.

Leidenschaft und die Ästhetik des Leidens

Der Autodidakt Salgado ist Überzeugungstäter: nach einem Wirtschaftsstudium war der 1944 geborene Brasilianer zunächst Verwaltungsangestellter im Wirtschaftsministerium, dann bei der International Coffee Organisation, erst Anfang der 70er Jahre griff er zur Kamera, 1973 gelang ihm eine international beachtete Reportage über Dürre und Elend in der Sahelzone. Aus dem Verwaltungsangestellten Sebastiao Salgado wird der "Bilder-Envangelist" Sebastiao Salgado. Ein Überzeugungstäter, dessen ausschließlich schwarz-weiße Fotografie ihre Sujets zu Ikonen erhebt, ihnen etwas geradezu Biblisches verleiht, eine Fotografie, der scheinbar mühelos die Ästhetisierung des Schreckens gelingt: eindringlich, perfekt komponiert, von intimer Nähe, hintersinnig und zugleich deutlich. Zutiefst Menschliches ist sein Thema: Leid, Elend, Not, Arbeit und Kampf fasst er in verstörend schöne Bilder.

Zwei Wochen Hölle, ein Ritterschlag

Ausgerüstet mit drei Leica-Kameras und den Brennweiten 28, 35 und 90 mm, bleibt Salgado knapp zwei Wochen bei den Brandbekämpfern, porträtiert sie und ihren scheinbar aussichtslosen Kampf in der zum Höllenvorhof gewordenen Wüste. Nach Tagen in Sand, Öl, Staub, beißenden Dämpfen und unvorstellbarer Hitze kehrt er mit rund 200 Filmen zurück, 7000 Bilder. Er legt verschiedenen Magazinen Sortimente von jeweils etwa 50 Bildern vor, die Bildredakteure selektieren ihre Favoriten: Am 9. Juni 1991 erscheint Salgados Reportage erstmals im "New York Times Magazine", einen Tag darauf veröffentlicht der "Spiegel" einige Motive. Für seine Bilder erhält der Fotograf den begehrten Oskar-Barnack-Preis, für Fotoreporter eine Art Ritterschlag.

1993 wird die Serie in sein Buch "Workers" aufgenommen. Wenige Monate später, im November 1991, ist die letzte Ölquelle gelöscht: die Spuren eines Amoklaufs der Geschichte beginnen zu verblassen, doch Sebastiao Salgados eindringliche Fotos schreiben sie fest ins kollektive Bildgedächtnis und bewahren sie so vor dem Vergessen.