Bauernproteste Besuch in Ellwangen: Cem Özdemir will mit den Bauern "schwätzen" – und dabei fair bleiben

  • von Isabel Stettin
Cem Özdemir spricht zu den Bürgern in Ellwangen aufgrund der Bauernproteste
Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, spricht bei einer Bauernkundgebung beim Kalten Markt in Ellwangen
© Bernd Weißbrod / Picture Alliance / DPA
In Ellwangen stellt sich Cem Özdemir aufgebrachten Landwirten: Längst geht es um mehr als die geplanten Subventionskürzungen. Die Demonstrierenden sprechen von Misstrauen und sehen die Zukunft landwirtschaftlicher Betriebe gefährdet. "Wir hören erst auf, wenn die Arbeit getan ist", sagt einer von ihnen.

"Die Ampel muss weg", fordern Demonstranten mit selbstgemalten Schildern vor der Stadthalle in Ellwangen. Innen stimmt der Chor der Landfrauen "Die Gedanken sind frei" an – und bekommt tosenden Applaus. Als Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne), Gast der Bauernkundgebung, am Mittwochmorgen als Redner ans Pult tritt, ebbt der ohnehin nur zögerliche Beifall schnell ab. Vereinzelte Buhrufe sind zu hören, immer wieder ertönen Pfiffe. Rund 700 Menschen haben sich in der vollen Stadthalle versammelt und mindestens so viele drängen sich draußen auf dem Platz vor der geschlossenen Tür. Die Worte von Özdemir werden über Lautsprecher zu ihnen nach draußen übertragen.

600 Traktoren und 2500 Demonstranten in Ellwangen

An diesem Mittwoch ging der "Kalte Markt" im schwäbischen Ellwangen zu Ende. Der Krämermarkt mit Pferdeprämierungen und Volksfest hat seit hunderten Jahren Tradition. Dass Özdemir bei der dortigen Bauernkundgebung sprechen würde, stand seit Monaten fest. Um "Zukunftsperspektiven der Nutztierhaltung" sollte es gehen – eigentlich. Doch angesichts der anhaltenden Proteste war es stattdessen Özdemirs Aufgabe, zu beschwichtigen, sich zu erklären und dem Unmut der Demonstranten zu stellen. In den Morgenstunden legten Traktoren den Verkehr nach Ellwangen lahm. Laut Polizei standen an der Straße entlang der Stadthalle rund 600 Traktoren und bis zu 2500 Menschen. Nur Rettungsgassen blieben frei – und der Zufahrtsweg für den Minister.

Mit Blick auf die von der Bundesregierung mittlerweile zum Teil zurückgenommenen Subventionskürzungen für die Landwirtschaft betonte Özdemir, dass er sich sofort nach Bekanntwerden der Beschlüsse für deren Rücknahme eingesetzt habe. Dass die Kfz-Steuerbefreiung für Landwirte nun doch nicht ausgesetzt werde, dafür habe er gekämpft. Nur knapp vor den Landwirten habe er selbst von den Entscheidungen der Ampel-Spitze erfahren, rechtfertigte sich Özdemir. Als Fachminister sei er nicht einbezogen worden. Dass "ein Berufsstand so über Gebühr" belastet werde wie die Landwirte, ohne mit den Berufsverbänden vorher zu diskutieren, sei aus seiner Sicht untragbar. Nun gehe es darum, "miteinander zu schwätzen", und "dabei fair zu bleiben".

"Rauskommen, rauskommen", ruft die Menge

Die Protestierenden sind laut, teils aufgebracht, aber friedlich. Auf der Bühne vor der Stadthalle tritt dann Anton Wagner, Kartoffelbauer aus der Region, ans Mikrophon. Er hat die Demonstration der Bauern angemeldet. Es sei wohl die größte Demo, die Ellwangen je gesehen habe, wie er sagt. "Rauskommen, rauskommen", führt er einen Sprechchor der Wartenden an. Dass Özdemir auch vor der Halle auftreten würde, hatte er vorab zugesichert.

Gut eine halbe Stunde hört er schließlich zu – und wird mit Vorwürfen konfrontiert, mit Wünschen und Vorschlägen. Ein junger Schweinebauer und eine Landwirtin zählen Probleme und Sorgen vieler der Anwesenden auf und machen klar: Die jüngsten Streichungen haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Längst geht es für viele um die Zukunft der Landwirtschaft. Die Bauern auf der Bühne fordern "ein Umdenken in der Agrarpolitik" angesichts steigender Produktionskosten, verschärften Düngemittelverordnungen, Umbauten für mehr Tierwohl, Ausgleichsmaßnahmen, weniger Zuschüssen für die Krankenversicherung und immer mehr Bürokratie.

"Ich glaube, dass der Agrardiesel eine Metapher ist für eine Unzufriedenheit, die sich nicht nur auf die letzten zwei Jahre meiner Amtszeit bezieht", sagte Minister Özdemir. Zustimmung und Applaus bekam er für seinen Aufruf für mehr Wertschätzung. In der Vergangenheit sei eine Politik gemacht worden, "die hieß: billig für den Export – und nicht Qualität", sagte er. "Wachsen oder weichen" und "Geiz ist geil" seien zu lange die Devise gewesen. Zudem hätte die Monopolstellung im Lebensmitteleinzelhandel dazu geführt, dass Preise immer mehr gedrückt würden.

"Doch waren das alles Grüne? War das alles ich?", fragte Özdemir mit Blick auf die Agrarpolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte und erbat sich "etwas mehr Fairness" in der Debatte. Zu der von ihm angestrebten Agrarpolitik hob Özdemir hervor, dass es für "gute Produkte" auch einen angemessenen Preis geben müsse. Wenn es von der Politik Anforderungen an die Landwirtschaft gebe, mehr Tierwohl oder mehr Artenvielfalt, müsse die Politik auch finanzielle Mittel zur Verfügung stellen.

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Madeleine und Edmund auf der Demonstration in Ellwangen
Madeleine und Edmund Abele demonstrieren mit ihrer Tochter Alissa, 10, in Ellwangen. Die Familie führt einen Milchhof bei Aalen.
© Isabel Stettin

Der Protest geht weiter, verspricht ein Kartoffelbauer

Den Landwirtinnen und Landwirte in Ellwangen geht es vor allem um eines: Planungssicherheit, Zuverlässigkeit und Zukunftsfähigkeit. Das Misstrauen gegenüber der Regierung ist bei vielen groß. Wenn sich Vorschriften und Anforderungen ständig ändern, seien Investitionen kaum möglich, sagen viele.

Edmund und Madeleine Abele haben ihre Tochter Alisa, 10, von der Schule freistellen lassen, weil sie mitdemonstrieren wollte. "Es geht auch um meine Zukunft", steht auf dem Schild, das sie vor sich hält. Die Familie betreibt einen Milchviehbetrieb bei Aalen. Madeleine Abele sagt: "Dass Özdemir sich uns stellt und zuhört, das zumindest schätzen wir. Nun bleibt die Frage, was davon er mitnimmt, was er nun wirklich ändern kann und was leere Versprechungen sind."

Eins noch solle "Herr Özdemir" seinen Berliner Kollegen ausrichten, gibt Kartoffelbauer Anton Wagner ihm zum Abschied mit auf den Weg: Der Protest werde weitergehen. "Wir Bauern hören nicht nach Feierabend auf mit Schaffen. Wir hören erst auf, wenn die Arbeit getan ist."