Juliane Eichblatt und Kai Schätzel sind Bauern. Weinbauern – und landwirtschaftliche Unternehmer. Gemeinsam betreiben sie das Weingut Kommune3000. Eichblatt kommt aus einem landwirtschaftlichen Haushalt, ihr Vater war Bauer. Später gründete sie den Online-Bauernmarkt "Frischepost", auf dem man per Mausklick Lebensmittel direkt vom Acker bestellen konnte. Eichblatt und ihr Partner, der Winzer Kai Schätzel, wollen zukunftstaugliche und regenerative Landwirtschaft betreiben. Für die aktuellen Bauernproteste haben sie nur eingeschränkt Verständnis. Ein Gespräch über ein kaputtes System, Abhängigkeiten und die Zukunft kleiner, bäuerlicher Strukturen.
Frau Eichblatt, Herr Schätzel, Sie sind Weinbauern. Machen Sie bei den aktuellen Bauernprotesten mit?
Eichblatt: Nein.
Warum nicht?
Eichblatt: Wir haben keinen Grund dazu. Wir würden eher auf die Straße gehen, um etwas Gutes einzufordern. Am Ende geht es nicht um die Agrardieselsubventionen, sondern um das komplette System, das nicht funktioniert. Wollen wir nicht lieber Subventionen dafür, die Zukunft zu gestalten – und nicht für eine veraltete Energiequelle? Warum sollten wir jetzt noch Geld dafür bekommen, um Diesel auf einem Trecker zu verbrennen?
Was funktioniert für Sie im landwirtschaftlichen System nicht?
Eichblatt: Es ist nicht richtig, wenn landwirtschaftliche Betriebe heute wirtschaftlich von Subventionen und Förderungen abhängig sind. Der Fehler im System ist nicht, dass der Diesel teurer wird, sondern dass viele Bauern vom Handel abhängig sind – und so unter Kostendruck geraten.
Schätzel: Es wurden bislang eher größere Strukturen als kleinere begünstigt. Das heißt, der Bauer mit der größeren Fläche hat auch mehr bekommen. Diese Entwicklung führt zu einer industrialisierten Landwirtschaft, zu einer höheren Mechanisierung und einer größeren Abhängigkeit.
Frau Eichblatt, Sie selbst sind in einem landwirtschaftlichen Betrieb groß geworden. Ihr Vater war Bauer. Wäre er bei den Protesten dabei gewesen?
Eichblatt: Er würde vermutlich eher nicht auf die Straße gehen, weil er stets als selbstbestimmter, freier Landwirt und Unternehmer agiert hat. Er wollte nie abhängig sein. Das kann man auch auf andere Branchen übertragen: Jeder Unternehmer und jede Unternehmerin muss zusehen, im Wettbewerb zu bestehen. Dafür sollte man sich möglichst nicht von Händlern oder staatlichen Subventionen abhängig machen. Und auch nicht an veralteten Strukturen festhalten. Wir Landwirte müssen in die Zukunft schauen.
Wofür würden Sie sich engagieren?
Schätzel: Ich würde für eine Landwirtschaft auf die Straße gehen, die das tut, was die Gesellschaft von ihr erwartet. Für Klimaschutz eintreten und Lebensmittel herstellen, die der Umwelt nicht schaden. Und Strukturen unterstützen, von denen wir träumen, die in der Vergangenheit aber vergessen wurden – nämlich kleine und selbstverantwortlich wirtschaftende Betriebe.
Könnte das ein langfristiges Ziel in der Landwirtschaft sein: kleinere Strukturen, so unabhängig wie möglich?
Eichblatt: Das wäre schön.
Schätzel: Subventionen können unter Umständen sinnvoll sein, um einen Wandel anzustoßen, nicht um ihn dauerhaft zu erhalten. Wir wollen nicht sagen, dass alles kaputt ist. Aber viele Umstrukturierungen sind eher in die Richtung größerer Betriebe ausgelegt. Wir kennen das auch aus dem Weinbau. Es gibt Unterstützung dafür, alle 20 Jahre neue Weinberge anzulegen. Also neue Rebsorten zu pflanzen. Das heißt, die alten raus und die neuen rein. Dabei können Weinberge bis zu 50 Jahre lang Trauben liefern. Subventionen werden mitgenommen, auch wenn die angeregte Maßnahme nicht nachhaltig und sinnvoll ist.
Verstehen Sie, warum die Bauern auf die Straße gehen?
Eichblatt: Aus meiner Zeit bei "Frischepost" weiß ich, wo das größte Problem vieler Bauern liegt, nämlich dass ihnen nicht die Preise gezahlt werden, die sie brauchen. Die Proteste jetzt gegen die Regierung zu richten, ist die falsche Adresse.
Wo sollten die Bauern stattdessen mit ihren Blockaden hin?
Eichblatt: Zu den wahnsinnig großen, preisbestimmenden Händlern. Die großen Supermarktketten üben Druck auf die Landwirte aus und drücken die Preise jedes Jahr aufs Neue.
Schätzel: Natürlich sind viele Landwirte frustriert. Ihnen wurde erstmal Geld weggenommen. Veränderung und Anpassung sind manchmal ein bisschen anstrengend und tun auch mal weh. Aber Steuern und Subventionen sollten uns doch eigentlich dazu bringen, dass wir Entscheidungen für eine Zukunft treffen, von der wir alle etwas haben. Dann finde ich es auch legitim, dafür einzustehen. Jetzt geht es konkret gerade darum, dass der Diesel teurer wird. Damit ist es sehr leicht, Lobbyismus zu betreiben und die Stimmung anzuheizen.
In den sozialen Netzwerken kursieren Videos von jungen Landwirten, die eine 30 Jahre lange verfehlte Agrarpolitik dafür verantwortlich machen. Ist das auch Ihre Meinung?
Schätzel: Ich finde es schwierig zu sagen, nur die aktuelle Regierung ist schuld. Die Gründe sind meist viel komplexer. Nämlich Fehlentscheidungen von Verbänden und der Agrar-Politik der vergangenen Jahrzehnte, die insgesamt zu kurzatmig waren und nicht langfristig genug gedacht haben. Anreize wie Subventionen werden dann oft hinterhergeworfen, um kurzfristig etwas abzufedern, was weh tut.
Eichblatt: Das Problem ist auch, dass die kleinen Bauern keine Stimme im System haben, selbst wenn sie gern etwas verändern möchten.
Schätzel: Die Stimmrechte im Bauernverband sind nach Betriebsgröße verteilt. Das heißt, der Bauer mit mehr Hektar hat auch mehr Stimmen. Gegen Großbetriebe und Genossenschaften hat der kleinere, direktvermarktende Betrieb keine Chance bei Abstimmungsprozessen.
Wie würde eine ideale Landwirtschaft für Sie aussehen?
Eichblatt: Ich wünsche mir, dass die Landwirtschaft weg von der Industrialisierung kommt, dass die Brücke zwischen Stadt und Land erst kürzer und dann ganz geschlossen wird. Und dass wir wegkommen von der Monokultur. Wir bewirtschaften Weingärten, in unseren Gärten wird Gemüse angebaut, und auch Schafe dürfen dort herumlaufen.
Schätzel: Die weltweite Landwirtschaft ist der größte Hebel, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Es gibt nur einen Weg, um CO2 umzuwandeln – und das ist mit Hilfe von Pflanzen, die wachsen. Jeder hat die Möglichkeit, eine Mikro- und Makrolandwirtschaft zu unterstützen, durch Konsum oder durch Gestaltung.
Viele Verbraucher werden jetzt aber mit dem Preis kommen: Lebensmittel aus ökologischer, regenerativer Landwirtschaft sind doch viel zu teuer. Oder?
Schätzel: Kurzfristig ja, langfristig und gesellschaftlich nicht. Und um das auszugleichen, dafür sind Subventionen da. Nicht um Diesel zu vergünstigen, sondern den Wandel zu unterstützen.