Anastasia Kühn ist auf einem Bauernhof groß geworden. Ihre Familie besitzt ein Stück Land und ein paar Milchkühe in Süddeutschland. Früher hat sie sich dort ziemlich allein gefühlt. Die meisten in ihrem Umfeld hätten keine Berührungspunkte mit der Landwirtschaft gehabt. "Bauernhof war damals einfach nicht cool", resümiert Kühn im Gespräch mit dem stern.
Nach einer Ausbildung zur Krankenschwester beschloss Anastasia Kühn vor fünf Jahren, doch in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten, und begann ein Studium der ökologischen Landwirtschaft an der Universität Kassel. Trotz Klimakrise und unsicheren Aussichten will die 27-Jährige auf dem Land leben und ackern. In diesen Tagen protestiert Kühn mit vielen ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreitern der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) für faire Löhne und gegen rechte Narrative auf den Demos.
In einem inzwischen fast vier Millionen Mal angesehenen Video auf Instagram fordert die jAbL Konsequenzen für "30 Jahre verfehlte Agrarpolitik". Die jungen Bäuerinnen und Bauern wollen nach eigenen Angaben nicht von Subventionen abhängig sein, sondern von ihren Produkten leben können. Und sie wollen sich nicht von rechten Kräften instrumentalisieren lassen. Im Interview mit dem stern fordert Anastasia Kühn faire Erzeugerpreise und eine stärkere Abgrenzung zu rechten Parteien und der Agrarlobby.
Warum unterstützen Sie als junge Bäuerin in der AbL die derzeitigen Proteste?
Die Proteste sind wichtig, damit die breite Gesellschaft versteht, dass wir als Landwirtschaft mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Kfz-Steuer ist zum Glück zurückgenommen worden, aber sie war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Wir haben große Bedenken, dass durch Hass und die Hetze die wirklichen Probleme nicht mehr gehört werden. Dass extrem rechte Kräfte unsere Proteste vereinnahmen, ist für uns eine große Gefahr. Deswegen sagen wir Ja zu bäuerlichen Protesten und Nein zu rechter Hetze.

Sie sagen, die Landwirtschaft steht mit dem Rücken zur Wand. Was heißt das konkret?
Die Landwirtschaft steht generell unter einem sehr, sehr großen Druck. Der Klimawandel hinterlässt auch bei uns Spuren. Wir haben derzeit ein massives Höfesterben und bekommen für körperlich harte Arbeit einen verhältnismäßig niedrigen Reallohn. Die Lage ist so angespannt, dass wir in unserem Beruf sehr hohe Burnout-Raten und auch eine relativ hohe Suizidrate haben. Die Ansage, dass uns nun auch noch Gelder genommen werden, ohne eine wirtschaftliche Alternative zu haben, hat viele in der Landwirtschaft fassungslos gemacht. Für uns als junge Landwirt:innen wird der Berufseinstieg zudem noch schwerer gemacht.
Was sind die Hürden?
Junge Landwirt:innen haben kaum Zugriff auf Land. Boden ist eine unglaublich teure Ressource. Wir müssen Investitionskosten von bis zu 600.000 Euro stemmen, um einen Arbeitsplatz zu schaffen. Boden ist einfach nicht vermehrbar, und wir stehen in ständiger Konkurrenz zu großen Investoren, die das Land vor unserer Nase wegkaufen. Wir als junge Landwirt:innen brauchen vor allem Planungssicherheit. Wir wissen weder, was in den nächsten Jahrzehnten gefördert wird, noch, was die politischen Rahmenbedingungen sind. Das ist ein riesiger Unsicherheitsfaktor.
Wie gehen Sie damit um, dass Sie vor allem von rechten und konservativen Gruppierungen Applaus bekommen? Wir bekommen aus der ganzen Bevölkerung Zuspruch! Trotzdem kämpfen wir aktiv dagegen an, dass extrem rechte Kräfte Demonstrationen vereinnahmen. Wir als junge AbL stehen für eine bunte Landwirtschaft. Wir leben von dieser Vielfalt. Mit Extremismus werden unsere Probleme in der Landwirtschaft nicht gelöst!

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Und dennoch sieht man auf den Demonstrationen immer wieder Schilder mit rechtsextremistischen Parolen.
Um aus der Situation herauszukommen, braucht es konstruktive Vorschläge, und die gibt es zur Genüge: Die Borchert-Kommission und die Zukunftskommission Landwirtschaft haben bereits ein Konzept zum Umbau der Tierhaltung zu einem höheren Tierwohlniveau präsentiert, bei denen landwirtschaftliche Verbände und Naturschutzverbände zusammengekommen sind. Aber dieses wurde nicht umgesetzt.
Wann ist für Sie eine rote Linie bei den Protesten überschritten?
Was vor Ort passiert, ist sehr schwer einzuschätzen, weil es sich bei dem aktuellen Protest nicht um eine zentral organisierte Aktion, sondern um viele Einzelaktionen handelt. Für mich ist wichtig: Wir können und müssen an Institutionen Kritik üben, aber es geht überhaupt nicht, einzelne Personen und deren Privatleben anzugreifen. Wir versuchen in all unseren Statements, diese Abgrenzung immer wieder zu betonen.
In einem inzwischen viralen Statement bei Instagram haben Vertreterinnen der jungen AbL gesagt, dass nicht die derzeitige Regierung Schuld am Zustand der Landwirtschaft trägt, sondern "30 Jahre verfehlte Agrarpolitik". Warum nehmen Sie die derzeitige Regierung in Schutz?
In Cem Özdemir als grünen Landwirtschaftsminister wurden viele Hoffnungen gesetzt. Es wurde angekündigt, die Empfehlungen der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission umzusetzen. Aber passiert ist sehr wenig. Allerdings sollten wir vor allem die Parteien in Verantwortung nehmen, die uns mit ihrer Agrarpolitik in den letzten Jahrzehnten überhaupt in diese Situation gebracht haben. Das waren CDU und CSU in Zusammenarbeit mit der konservativen Agrarlobby. Agrarpolitik wird in Jahrzehnten und nicht in Legislaturen gedacht. Zu sagen, nur die Ampel ist schuld, wäre einfach zu kurz gegriffen.
Tut der Deutsche Bauernverband (DBV) genug, um sich von diesen rechten Kräften abzugrenzen?
Der DBV grenzt sich stärker von rechts ab als erwartet. Und dennoch ist es so, dass es in der Umsetzung einer effektiven Abgrenzung vor Ort teilweise erhebliche Unterschiede gibt.
Die AfD lehnt Subventionen generell ab. Wieso ist die Partei für einige ihrer Mitstreiter:innen trotzdem eine Alternative?
Die AfD schafft es einfach, Zorn und Wut zu instrumentalisieren. In ihrem Parteiprogramm steht, dass sie sämtliche Subventionen streichen wollen. Wir hoffen, mit inhaltlichen Diskussionen und ganz konkreten Lösungsvorschlägen auch all diejenigen zu erreichen, die jetzt der AfD hinterherlaufen und meinen, dass sie eine Lösung anbieten würden. Wir als AbL haben sechs konkrete Vorschläge gemacht, was aus unserer Sicht zu tun ist.
"Absolut verständlich" bis "unverhältnismäßig": So stehen die Parteien zu den Bauernprotesten

Bundesinnenministerin Nancy Faeser kritisierte insbesondere die Blockaden von Autobahnauffahrten und anderen Straßen. "Wer andere Menschen, die eilig zur Arbeit, zur Schule oder zum Arzt müssen, im Alltag blockiert, der sorgt in allererster Linie für Wut und Unverständnis", sagte die SPD-Politikerin der "Rheinischen Post". Wie andere Parteien forderte sie die Protestierenden auf, sich von Extremisten deutlich abzugrenzen.
Ministerpräsident Stephan Weil, der mit Niedersachsen ein landwirtschaftlich geprägtes Bundesland führt, hatte noch von der Koalition gefordert, die Kürzungen zurückzunehmen. "Ich glaube, dass die beiden Vorschläge eine Branche doch stärker treffen als andere." Das Sparpaket verabschiedete die Ampelkoaltion am Montag dennoch.
Wie sehen diese konkreten Vorschläge aus?
Wir als AbL haben einen Sechs-Punkte-Plan aufgestellt, in dem machbare Schritte präsentiert werden. Uns geht es vor allem um gute Erzeugerpreise. Wenn wir die hätten, bräuchten wir überhaupt keine Subventionen. Was beispielsweise die Milch betrifft, fordern wir von der Bundesregierung Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisation der Europäischen Union umzusetzen. Dieser gibt der Bundesregierung die Möglichkeit, eine gesetzliche Vertragsgestaltung vor Lieferung zwischen der abnehmenden Hand und den Milchbäuerinnen und Bauern verpflichtend einzuführen und die Genossenschaften einzubeziehen. In den Verträgen sollten zudem zwingend Mengen, Qualitäten, Laufzeiten und ein fester Preis vereinbart werden. So würde die Wertschöpfung auf den landwirtschaftlichen Milchbetrieben steigen, ohne dass zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt notwendig sind.
Was wünschen Sie sich für Ihre eigene berufliche Zukunft?
Für uns als junge Landwirt:innen ist es essenziell, dass der Zugang zu Land einfacher gestaltet wird, dass wir mehr Existenzgründerförderung bekommen und Investoren, die bereits überdurchschnittlichen Landbesitz haben, ein Riegel vorgeschoben wird. Diese Forderungen sind nicht neu, aber scheitern seit Jahrzehnten an einer viel zu mächtigen Agrarlobby, die nur an dem Wohl der Agrarindustrie und nicht an gesunden und vielfältigen Betrieben interessiert ist.