Die Sonne geht gerade auf und färbt den den Himmel orange und lila, aber die Luft ist noch beißend kalt, die wenigen Menschen auf der Straße haben ihre Hände tief in den Jackentaschen, nur den Kühen ist das egal. Auf einem kleinen Hof am Rande von Dresden, direkt an der Elbe, drängen sie sich durch einen kleinen Ausgang der Sonne entgegen, die über den Hügeln des Elbtals aufgeht. Eine der Kühe heißt Tonka, weil ihr Haar so weich ist wie Mandel-Tonka-Creme. Eine zweite Kuh hört auf den Namen Pusteblume, wegen ihrer gelockten Haare auf dem Kopf. Und der Zuchtbulle heißt Mucki! Man könnte denken, wo die Tiere Tonka, Mucki und Pusteblume heißen, da muss die Welt noch in Ordnung sein. Aber Pusteblume.
"Ich habe um die Weihnachtsfeiertage kaum geschlafen", erzählt Bauer Johann Franz. Kurz vor dem Fest hatte die Bundesregierung angekündigt, bei den Agrardieselsubvention und der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirte zu kürzen. Weniger Geld für die Bauern. Seitdem protestieren sie, blockieren Autobahnen und demonstrieren in den Städten. Heute will sich auch Johann Franz anschließen. Er füttert vorher noch seine Tiere: 25 Mutterkühe, 30 Legehennen, 2 Pferde. Dann gibt Franz letzte Anweisungen: "Opa, gehts du mittags mal gucken, ob die Kühe kalben?" Opa ist gestern 84 geworden und hat gerade den Pferdestall ausgemistet. Er hilft noch fleißig mit, gerade jetzt, wo die Kühe Kinder bekommen und dabei oftmals Hilfe brauchen.
Der Hof ist ein Familienbetrieb, 1802 gegründet und in neunter Generation von Johann Franz geführt. In dem roten Trecker, in den er jetzt steigt, ein Zetor 5211, gebaut in Tschechien, ist er schon als ganz kleiner Fratz mitgefahren. In einer Babyschale auf dem Beifahrersitz. Nun, mit 30 Jahren, nagelt er mit dem Traktor zur großen Bauerndemo auf dem Dresdner Theaterplatz.
Die Liste der Probleme ist lang
Während er den Motor anlässt, sagt, Franz, er tue das, damit auch seine Kinder einmal auf dem Hof Bauern werden könnten. Ziemlich viel Pathos für einen so rationalen Typen wie Franz. Er kann sehr genau erklären, was die Probleme der Landwirtschaft sind, und man versteht schnell: Die Liste ist lang. Da geht es um die unfairen Preise, den Weltmarkt, um Auflagen und Höfesterben. Um den Landkauf durch Unternehmen wie Aldi oder Kick, um EU-Subventionen, die pro Fläche verteilt werden und bei denen die Kleinen benachteiligt sind.

Man könnte denken, dass verträgt sich nicht mit den Parolen, die man in der letzten Zeit von den Bauern gehört hat, mit dem "Die Ampel muss weg" und dem Hass auf die Grünen. Und vielleicht hat das auch Franz gemerkt, denn er selbst sagt, er habe die bisherigen Bauernproteste als "durchwachsen" wahrgenommen, und natürlich habe ihm die Teilnahme der "Freien Sachsen" große Sorgen gemacht. Die Rechtsextremen hatten in den vergangenen Wochen immer wieder versucht, die Proteste der Bauern zu kapern. Umso mehr habe es ihn gefreut, dass der Bauernverband die Demonstration klar nach rechts abgegrenzt hätte.
Franz selbst ist in einem kleineren Verein organisiert, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Die ist nicht so eng verdrahtet mit der CDU wie der Bauernverband. In Aufruf für heute hieß es, man wolle Rechtsextreme "von der Demo schmeißen". Ein Videostatement ihres Jugendverbandes ging in einer eher linken Social-Media-Blase viral. Dort sagte man, nicht die Ampel sei das Problem, sondern die letzten 20 Jahre verfehlter Agrarpolitik.
Deftige Botschaften am Trecker
Mit anderen Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft trifft sich Franz auf einem Parkplatz vor Netto. "Geil, dass du Kaffee mitgebracht hast", sagt ein Bauer zu Franz. "Wir haben heute morgen noch geschlachtet und gemolken, da hatte ich keine Zeit mehr, mir einen zu machen." Etwa ein Dutzend Landwirte sind zum Treffpunkt gekommen. Jetzt wollen sie gemeinsam zur Demonstration nach Dresden fahren. Es wird hektisch auf dem Parkplatz, als andere Traktoren auf der Straße neben dem Netto auftauchen. Die Bauern um Franz springen in ihre Wägen und versuchen, sich einen guten Platz in der langen Kolonne zu sichern, die in die Innenstadt fährt.

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Die meisten von ihnen haben deftige Botschaften auf ihren Fahrzeugen kleben: "Ampel weg, letzter Dreck" steht da und "Habeck: ein Griff ins Klo".
Auf dem Theaterplatz angekommen parkt Bauer Franz seinen Traktor neben 4000 anderen, die aus ganz Sachsen gekommen sind.
Die Kürzung des Agrardiesel hat das Fass zum Überlaufen gebracht
Die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland sind sehr verschieden, vom Weinbauer bis zum Hühnerzüchter. Sie sind auch sehr unterschiedlich vom Wegfall der Agrardieselsubvention betroffen. Bei einigen führt der Ampel-Plan zu Existenzängsten, für manchen Großbauer dürfte das ganze nur ein paar Euro weniger bedeuten. Aber die Ankündigung Mitte Dezember hat sie alle auf die Straße gebracht, weil es obendrauf kommt auf die lange Problemliste der Landwirtschaft. "Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat", sagt Landwirt Franz.
Es sind ganz unterschiedliche Menschen, die gekommen sind und nun in Dresden den Reden lauschen: Gemüsebauern und Schweinemäster, Geflügelzüchter und Waldbesitzer. Sie haben sehr große Höfe und sehr kleine. Manche betreiben Massentierhaltung und andere eine "solidarische Landwirtschaft", also einen meist eher kleinen Gemüseanbau, für meist linke Studenten.
Man muss auf dem Dresdner Theaterplatz nicht lange nach rechtsextremen Symbolen suchen, man findet zum Beispiel Menschen mit schwarz-rot-weißen Hüten, die Farben der Reichskriegsflagge. Und man findet Menschen in gelben "Aufstehen"-Westen. Es gibt jede Menge Trittbrettfahrer, welche die Wut der Bauern für sich nutzen wollen. Aber auf der Demonstration sind zumindest die AfD und die Freien Sachen nicht erwünscht, sie werden am Rande des Geschehens immer wieder von Bauern und der Polizei des Platzes verwiesen. Auf einigen Treckern sind Galgen montiert, auf anderen prangt ein eisernes Kreuz, doch sie parken in einigem Abstand zur Demonstration.
Eine Menge Menschen wollen die Wut der Bauern ausnutzen
Viele der Reden an diesem Nachmittag sind dennoch gehörig populistisch. "Wir werden regiert von Kevin Kühnert und Ricarda Lang, Menschen ohne fundierte Ausbildung, die noch nie Verantwortung gezeigt haben", brüllt ein Vortragender in die Menge und erntet lautes Gejohle. "Zieht den Bürgergeldempfängern endlich Gummistiefel an und hört auf, das Geld in die Welt zu verschenken", schreit eine zweite Rednerin und wird mit lautem Applaus belohnt. Dann ist die Arbeitsgemeinschaft Landwirtschaft an der Reihe.
Die Rednerin erklärt zu Beginn, dass die Landwirte die Klimakrise am heftigsten zu spüren bekommen würden.
Es wird leiser auf dem Theaterplatz.
"Wir sind offen für viele Transformationen, aber wir brauchen Unterstützung aus der Politik und eine langfristige Perspektive", ruft die Rednerin weiter.
Vereinzelter Applaus.
"Wir müssen die Probleme angehen, aber ohne Hass und Hetze", geht die Rede weiter.
Die Stille hat ihren Tiefpunkt erreicht, nur aus der Ecke wo Franz und seine Kollegen stehen, wird applaudiert.
Die Rede ist vorbei. Ihre Nachfolgerin braucht nur zwei Sätze, um die Stimmung wieder zum Kochen zu bringen. "Ehrliche Arbeit lohnt sich nicht mehr. Betreutes Denken wird belohnt." Da johlt und klatscht der Dresdner Theaterplatz wieder.
Auftritt von Ministerpräsident Michael Kretschmer
Am Ende spricht auch noch Ministerpräsident Michael Kretschmer. "Diese Bundesregierung, das sind die eigentlichen Falschfahrer, die sind falsch, Sie haben recht", ruft er in die Menge. So ganz nehmen es die meisten Menschen dem Spitzenpolitiker nicht ab, das er einer von ihnen ist. Auch wenn Kretschmer sich heftig bemüht, gegen die Ampel-Regierung zu poltern, viele Menschen buhen lautstark.
Gegen 14 Uhr löst sich die Demonstration schließlich auf, die Bauern machen sich auf den Rückweg zu ihren Höfen. Bauer Franz war längst nicht mit allem zufrieden. Einige der Beiträge fand er problematisch. Aber er ist auch froh, dass er da war und seine Position vertreten hat. Und dass so viele Menschen da waren, das fand es auch beeindruckend. Mit seinem roten Traktor fährt er zurück auf den Hof.
Die beiden schwangeren Kühe haben ihre Kälber noch nicht bekommen. In der Nacht müsse er nun alle drei Stunden aufstehen und nach ihnen sehen, sagt Franz. Eigentlich sei es verrückt, dass man bei all der Arbeit auch noch Politik machen müsse.