CSD-Veranstalter "Die Queerfeindlichkeit nimmt zu. Das macht uns so traurig und wütend"

Eine Menschenmenge am CSD: Jemand schwenkt eine große Regenbogenfahne
Auf dem CSD wird die Liebe gefeiert, trotzdem erfahren Teilnehmer immer wieder queerfeindliche Gewalt 
© Daniel Karmann / Picture Alliance / DPA
Bei fast einem Viertel der Feierlichkeiten zum Christopher Street Day gab es in diesem Jahr Übergriffe und Schmähungen. Die Organisatoren des CSD in Halle berichten von einer neuen Art queerfeindlicher Gewalt – nicht nur in ihrer Stadt.

In der Nacht nach dem Christopher Street Day in Halle waren mehrere Männer mit Schlägen und Tritten auf Teilnehmende losgegangen. Eine 41-jährige Frau musste ins Krankenhaus, drei Menschen wurden leicht verletzt. Hendrik Lange sitzt für die Linken im Landtag von Sachsen-Anhalt und ist Vorsitzender des Vereins, der das CSD-Straßenfest in Halle organisiert. Nadine Glaser arbeitet dort als Koordinatorin und Beraterin. Ein Gespräch über Queerfeindlichkeit und die gesellschaftliche Stimmung. 

169 Umzüge zum Christopher Street Day gab es in diesem Sommer im deutschsprachigen Raum. Bei 39 davon kam es zu Übergriffen auf Teilnehmende. Das ist fast ein Viertel der Veranstaltungen.
Hendrik Lange: Und das sind bloß die offiziellen Zahlen. Wir müssen davon ausgehen, dass die Dunkelziffer höher ist, weil nicht jeder jeden Vorfall meldet.

Gehen Sie mittlerweile vor einem CSD schon davon aus, dass etwas passieren wird?
Hendrik Lange: Nein. Angst wäre ein schlimmer Feind des Christopher Street Days. Und wir versuchen, so viel Sicherheit wie möglich zu gewährleisten. Angst vor Übergriffen von rechts betrifft nicht nur den CSD, sondern den Alltag vieler Menschen aus der queeren Community. Vor allem derjenigen, die äußerlich als queer auftreten. Wir als Verein möchten unsere Leute empowern, ihnen Selbstbewusstsein vermitteln. Und uns gesellschaftlich engagieren, damit sie sich zeigen können, so wie sie sind und wie sie sich geben möchten, ohne Angst. Eigentlich sollte das in diesem Jahrtausend eine Selbstverständlichkeit sein. Aber diese Selbstverständlichkeit hat tatsächlich wieder abgenommen.

Es wird schlimmer statt besser?
Hendrik Lange: Ja, mir macht das seit vielen Jahren Sorge. Die Queerfeindlichkeit nimmt zu. Es gibt einen konservativen Rollback innerhalb der Gesellschaft. Genau da müssen wir ansetzen. Wir brauchen Aufklärungsveranstaltungen, wir brauchen Beratungsangebote, wir brauchen vor allem auch Bildung. Das ist ja, worum es beim CSD auch geht: Auf die Probleme aufmerksam zu machen und Rechte einzufordern.

Haben Sie eine Erklärung für den Rollback, den Sie wahrnehmen?
Nadine Glaser: Einige Menschen blicken mit ihrer Schablone der vermeintlichen Normalität in die Welt und sehen da plötzlich mehr Transpersonen. Weil sie mehr Sichtbarkeit fordern und mehr Aufmerksamkeit bekommen. Dadurch erhöht sich auch die Angriffsfläche. Es ist etwas Neues, das viele Menschen nicht verstehen und von dem sie sich überfordert fühlen.

Hendrik Lange: Ich erlebe im Landtag auch CDU-Abgeordnete, die transfeindliche Sprüche klopfen. Aber es gibt leider ebenso Transfeindlichkeit von Menschen, die sich links verorten, den so genannten transexklusiven Radikalfeministen. Da verstehe ich die Welt nicht mehr, wie man aus linker, emanzipatorischer Sicht anderen Menschen ihre Selbstbestimmung absprechen kann.

Es ist also nicht nur eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe, die besonders transfeindlich ist, sondern Sie nehmen eine gesellschaftliche Grundstimmung wahr?
Hendrik Lange: Ja. Dass Menschen in ihrem eigenen Selbstverständnis und geschlechtlicher Zuordnung infrage gestellt werden, ist leider eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Das macht uns so traurig und wütend. Dabei muss man sagen: Wirklich neu ist das alles ja nicht. Es gab auch nicht plötzlich mehr Schwule, bloß, weil sie irgendwann sichtbarer unterwegs waren. Sie waren nur bis dahin aufgrund der gesellschaftlichen Situation versteckt geblieben, hatten sich nicht geoutet. Dass heutzutage Transsexualität normalisiert wird, führt auch dazu, dass wir sie stärker im Alltag wahrnehmen können, weil mehr Menschen sich trauen, sich zu zeigen. Das ist deshalb aber kein neues Phänomen. Und auch die Queerfeindlichkeit war vorher schon da und wird jetzt einerseits von Populisten befeuert und bekommt andererseits einfach mehr Aufmerksamkeit. Die Gewalt hat sich in den letzten Jahren nicht neu entwickelt, sondern eher verschoben, in das Spektrum Queerfeindlichkeit insgesamt. 

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Nach dem CSD in Halle haben vier Männer Teilnehmende zuerst beleidigt und dann mit Tritten und Schlägen attackiert. Eine 41-jährige Frau musste danach schwer verletzt ins Krankenhaus. Sind Sie in Kontakt mit den Betroffenen?
Nadine Glaser: Leider nicht. Wir haben ihnen über unsere Stellungnahme angeboten, dass sie sich an uns wenden können. Aber das ist nicht passiert. Dafür haben wir viele unschöne Mails bekommen, von Menschen, die uns vorgeworfen haben, die wahren Täter zu verbergen mit dem typischen Narrativ: Queerfeindlichkeit komme aus dem Ausland. Die Menschen haben uns Sätze geschrieben wie: "Ihr tut jetzt so, als wären es die Deutschen gewesen". Uns ging es einfach darum, tätliche Übergriffe gegen Teilnehmende des CSDs zu kritisieren und den Opfern unsere Unterstützung anzubieten. Der Pass der Täter ist dafür völlig irrelevant.

Wie und wann haben Sie von den Vorfällen erfahren?
Nadine Glaser: Während der Feier war ich meistens auf dem Marktplatz und habe da gar nichts von den Übergriffen mitbekommen. Ich habe erst am Montag davon gehört. Mein erster Gedanke war: Jetzt ist das wieder eine Steilvorlage für die Behauptung "das waren die Ausländer". Und genau so ist es dann ja leider gekommen. Ich habe die Feier vorher eigentlich als sehr schön wahrgenommen. Die Stimmung war gut, alle Altersgruppen waren vertreten, wir hatten buntes Bühnenprogramm. Die Übergriffe sind dann gegen 22 Uhr passiert, also knapp, bevor die Polizeistaffeln um 21 Uhr abgezogen sind.

Hendrik Lange: Ich habe auch am Montag erst davon erfahren. Nachdem Rechtsextremisten im letzten Jahr unseren CSD gestört haben und nach den Angriffen durch Rechtsextreme auf dem CSD in Weißenfels hatten wir in diesem Jahr ein gut abgesprochenes Sicherheitskonzept für Demonstration und Straßenfest. Bis auf Kleinigkeiten am Rande der Demonstration ist das Konzept auch gut aufgegangen.

"Kleinigkeiten", sagen Sie – was für Kleinigkeiten waren das?
Hendrik Lange: Es waren Leute vom "Dritten Weg" da, einer rechtsextremen und neonazistischen Partei. Die haben versucht, zu provozieren. Auf dem Markt ist außerdem ein junger Mensch an einen Stand gegangen, hat dort die Regenbogenfahne genommen und Flyer und ist drauf getreten, hat sich entsprechend geäußert, das möchte ich hier nicht wiedergeben. Insgesamt muss man aber sagen, war das wirklich eine bunte, fröhliche Veranstaltung, eine sehr große Demonstration, um die 3000 Leute waren da. Und dann passiert das, was jetzt bundesweit Schlagzeilen gemacht hat. 

Veranstaltende von manchen CSDs sind gegen Polizeipräsenz. Gab es in Halle auch solche Diskussionen?
Hendrik Lange: Diskussionen gab es schon. Aber wir hatten das Gefühl, dass das Sicherheitskonzept funktioniert und auch die Polizei entsprechend vorbereitet war und dazugelernt hat, also zum Beispiel besser dafür sensibilisiert ist, Transpersonen mit dem richtigen Pronomen anzusprechen.

Haben Sie nach dem CSD das Gefühl, dass man besser hätte schützen können oder sollen?
Nadine Glaser: Für die Veranstaltung selbst haben wir uns keine Vorwürfe zu machen. Was man nochmal schauen sollte, ist, wie lange nach einem Fest wie dem CSD ein Schutzbedarf notwendig ist. Da müssen wir uns als Verein nochmal organisieren und auch mit der Polizei verständigen. Aber ich glaube, auch mit dem größten Polizeiaufgebot können wir nicht jede Ecke in Halle absichern, so ist es leider. Die Vorfälle zeigen einfach, dass viel politische Arbeit zu tun ist. Natürlich sagen wir den Leuten auch, macht euch nicht angreifbar, geht nicht alleine nach Hause.

Hendrik Lange: Das gilt aber auch für andere Demonstrationen: Passt auf euch auf, lauft nicht in die Watte. Gleichzeitig finde ich es schlimm, dass wir darüber überhaupt sprechen müssen, weil das gesellschaftliche Klima so angespannt ist. Die Menschen, die jetzt angegriffen wurden, waren ja sogar in einer großen Gruppe unterwegs, die haben insofern schon alles richtig gemacht. Was sollen wir den Leuten denn noch sagen? Sie sollen sich ja nicht bewaffnen.