Dschungelcamp 2024 Welches Frauenbild lehren Kim Virgina und Leyla Lahouar? Unsere Autorin hat einfach mal mitgeschrieben

Leyla Lahouar (l.) und Kim Virginia  im Dschungelcamp
Leyla Lahouar (l.) und Kim Virginia 
© RTL
Lässt sich im Dschungel etwas Neues über das Frauenbild in Deutschland lernen? Fragt sich Johanna Wagner und folgt Kim, Leyla und Lucy ins dialektische Dickicht. Warnung: Der Versuch wird scheitern. Aber daran trägt das Camp nur bedingt die Schuld.

Das Dümmste an der Sache ist, dass es meine Idee war. Mir schwebte eine Art Bestandsaufnahme vor: Was sagt das Dschungelcamp über das aktuelle Frauenbild in Deutschland? Gibt es da was Neues? Ich meldete mich voreilig mit dem Vorschlag einer Glosse. Und ich hätte stutzig werden sollen, als die erfahreneren Kolleginnen so gar nicht auf meine Idee reagierten. Aber ich wurde es nicht.

An Tag eins fühlte ich mich wie eine Pionierin. Ich würde die Sendung nicht mit dem sinnlosen Anspruch der Zerstreuung gucken, so viel war klar. Mein Notizbuch lag bereit, darin würde ich mit spitzem Stift kritische Gedanken notieren.

An die Grenzen gehen

Auf dem Weg zum Sofa trommelte ich mir auf die Brust und küsste meinen Schreibmuskel. Probleme sind für mich nur dornige Chancen, sagte ich mir. Mit dieser Stimmung fühlte ich mich in den ersten Sendungen gut aufgehoben. Denn auch die Menschen, die ins Dschungelcamp gehen, sprechen davon, an "ihre Grenzen zu gehen" und "neue Herausforderungen zu suchen." Soulmates, dachte ich, Seelenverwandte. Wir, die Kandidatinnen und ich, machen uns gemeinsam auf den Weg zur großen Erkenntnis. 

Da mich das Frauenbild interessierte, wählte ich direkt die schillerndsten Damen zu meinen Reiseleiterinnen: Kim Virgina und Leyla Lahouar. Zwei Frauen, deren Schönheitsoperationen offensichtlich sind, die also dem gängigen Schönheitsideal entsprechen wollen. Gleichzeitig treten sie für ihre Rechte ein, beispielsweise dafür, sich so zu kleiden, wie sie möchten, oder zu schlafen, mit wem sie wollen. Ein Widerspruch? Ich notiere: Für Einstieg vielleicht Witz über Thomas Gottschalk? Später verwerfe ich den Gedanken, denn gute Witze treten nicht nach unten. 

Berühmt durch "Bums"-Formate

Ich verfolge meine zwei Anführerinnen, die wohl durch Dating-Formaten berühmt geworden sind. Sie bezeichnen diese als "Bums-Formate" und geben gern zu, für das Geld ins Camp zu gehen. Die moderne Frau ist erfrischend ehrlich, notiere ich. Verwerfe aber wieder, denn die Worte "erfrischend ehrlich" sollte man nie schreiben. Außerdem: Die eine moderne Frau gibt es doch nicht.

Ich beobachte, wie meine Anführerinnen die Anatomie der Frau einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen: "Ups, meine Titte guckt raus“, sagt Leyla. Als es um den Klopapierverbrauch geht, erklärt wiederum Kim: "Wir haben zwei Löcher, die bedient werden müssen, Schatz." Mit ihrer Schlagfertigkeit zeigen sie es allen, notiere ich mir. Dann aber frage ich mich: Wer zeigt hier wem eigentlich was, Schatz? 

In den folgenden Tagen sehe ich, wie sich meine beiden Anführerinnen um einen Mann namens Mike Heiter streiten, der auch über Dating-TV Bekanntheit erlangte. Frauen werden nur gezeigt, wenn es um Männer geht, notiere ich mir. Aber auch diesen Gedanken verwerfe ich. Es scheint mir unfair, feministische Filmtheorie auf das Dschungelcamp anzuwenden.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Alte, weiße Männer 

Abends liege ich nun länger wach. Ich grüble viel. Sagt das etwas Neues über Frauen aus, wenn sie in "Bums-Formaten" berühmt werden? Nein, das gibt es ebenso lang wie Frauen, die gern ihre Körper zeigen. Ich denke über Sätze wie "Ups, meine Titte guckt raus" nach. Ist da vielleicht mehr zu holen?

In meiner Verzweiflung weite ich meinen Blick, schaue mir nun auch die Männer an: Was sagt es über den Stand der alten weißen Männer aus, dass alle Heinz Hoenig lieben? Dass alle weinen, als er das Camp verlassen muss? Alte Männer berühren Menschen genauso sehr wie Kinder, notierte ichVerwerfe ich aber, denn als Feministin ist es mir strengstens verboten, etwas Nettes über Kinder oder alte Männer zu schreiben.

Der Ruf der Piraten

Dann verfolge ich, wie Felix von Jascheroff, Schauspieler aus GZSZ, einen anderen Mann abwerten möchte, indem er ihm die Fähigkeit abspricht, einen Pirat zu spielen. Diese gepfefferte Beleidigung holt mich ab, da steckt was drin, denke ich mir. Witze über Männer, die Piraten ernst nehmen, notiere ich mir. Verwerfe ich aber, hat ja nichts mit Frauen zu tun. Außerdem nicht nach unten treten.

Positiv überrascht bin ich davon, dass die einzige offen lebische Frau, Lucy Diakovska, ehemaliges Mitglied der Band No Angels, von der Öffentlichkeit gefeiert wird. Gesellschaft nicht mehr homophob?, notiere ich mir. Verwerfe ich aber, als David Odonkor das Gespräch über Diakovskas Sexualität mit der Frage einleitet: "Wie kam es denn dazu?" Als sei Diakovska in ihrem Leben falsch abgebogen und zur Lesbe geworden. Zu seiner späteren Bitte an meine Anführerinnen, sich mehr anzuziehen, da ihn ihre Nacktheit störe, fällt mir dann gar nichts mehr ein. 

Prollig können auch Frauen

Ich konzentriere mich noch einmal auf meine Anführerinnen, Kim Virgina und Leyla Lahour. Beobachte, wie die beiden sich wie typisch männliche Prolls benehmen, etwa als Leyla Insekten in Anlehnung an das weibliche Genital als "Fotzen" beleidigt. Ich beobachte, wie Kim Leyla gegenüber mansplained, also ungefragt Ratschläge erteilt ("Du solltest nicht so viel schreien") und über den Wunsch spricht, ihre Triebe auszuleben: "Ich will ihn in der Hölle brennen sehen. Und vielleicht bumsen." Frauen benehmen sich wie Typen, schreibe ich auf. Aber: Auch die Strategie, dass sich Frauen durchsetzen, indem sie sich das Gehabe von Männern zu eigen machen, gibt es schon lang. 

In den kommenden Tagen zerstreiten sich meine Anführerinnen immer mehr über den Mann. Ich verstehe nicht, warum. Aus meiner Sicht ist das einzig Coole, das Mike getan hat, sich selbst abzuklatschen, als ihm Kim nach der Dschungelprüfung eine High Five verwehrte. Ansonsten fällt er vor allem dadurch auf, dass er mit Leyla nichts anfangen will, solang ihm sein bester Freund Eugen nicht das "Go" gibt. Denn sein bester Freund Eugen hatte schon einmal "Kontakt" zu Leyla. Leider ist auch der männliche Besitzanspruch auf Frauen nicht neu.

Kurz überlege ich, mich einfach darauf zu konzentrieren, Mike zu hassen. Aber das geht nicht, denn der Streit zwischen Kim und Leyla nimmt in der Sendung immer mehr Raum ein. Die beiden Frauen, die stolz auf ihre künstlichen Brüste und Lippen sind, werfen sich schmollend vor, fake zu sein. Aufeinanderprallen von Wahrheit und Schein  vielleicht ein Interessanter Metakonflikt für die Glosse? Und dann, wie gewitzt, findet das auch noch im Reality-TV statt! 

Das Dschungelcamp ist kein Ort für Antworten

Aber dass sich Frauen um einen Mann streiten, ist das neu? Wäre es der Gedanke, dass im Reality TV nicht alles real ist, weil wir ja nur Ausschnitte sehen? Und verbietet das Wissen, dass sich die Menschen dort inszenieren, nicht sowieso jede Analyse?

Ich merke, ich bin an meine Grenze gekommen. Im Dschungelcamp nichts Neues in Sachen Frauenbild, die Sendung ist kein Ort für gesellschaftliche Erkenntnisse. Sie dient der Unterhaltung. Und man kann sie dumm finden oder gut, aber eins findet man dort auf keinen Fall: Antworten.

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