Mord an Mädchen "Wie eine Narbe": Was der Tod von Luise (†12) mit Freudenberg gemacht hat

Freudenberg im Siegerland bei Einbruch der Nacht
Freudenberg im Siegerland war für seinen historischen Kern bekannt. Seit März 2023 ist es auf eine weitere, traurige Art berühmt
© Sandra Stein
Vor einem Jahr töteten zwei Schülerinnen in Freudenberg die zwölfjährige Luise. stern-Reporter haben den Ort seither regelmäßig besucht. Über eine Stadt, die um Versöhnung ringt und um die Zukunft der betroffenen Familien.

Anmerkung: Dieser Text erschien erstmals am 9. Dezember 2023. Anlässlich des Jahrestags der Tat haben wir ihn um einen Epilog aktualisiert und veröffentlichen ihn an dieser Stelle erneut.

Wenige Wochen nach dem Tod von Luise F. schieben sich die Menschen durch die Straßen und Gässchen von Freudenberg im Siegerland. Es ist Frühlingsmarkt. Stände links und rechts auf gepflastertem Stein und vor prächtigem Fachwerk. Holz und Glas, Honig und Gewürze, Bürsten und Messer. Oben im Örtchen Oldtimer, unten Flohmarkt und Strickleiterklettern der Jugendfeuerwehr. Die "Siegener Zeitung", sie hat auch einen Stand, wird anderntags schreiben, "Freudenberg holt sich ein Stück Normalität zurück", und auf den ersten Blick wirkt das so. Lachende Kinder, Bier vom Fass, Bratwurst und Steak vom Schwenkgrill. So riecht und schmeckt Normalität.

Normalerweise.

Und doch ist das nur malerische Fassade. Kaum ein Gespräch, das sich nicht dreht auf den 11. März und die Tat, die drei Familien zerstörte und den Ort erschütterte: der Mord an der zwölf Jahre alten Luise F., begangen von zwei Schulkameradinnen.

Danach zog ein Sturm über das Städtchen und seine knapp 18.000 Einwohner. Reporter aus ganz Europa fielen ein, und nicht wenige von ihnen hinterließen verbrannte Erde.

Portrait von Freudenberg-Bürgermeisterin Nicole Reschke
Freudenbergs Bürgermeisterin Nicole Reschke wirbt für einen maßvollen Umgang mit allen betroffenen Familien
© Sandra Stein
Fortuna Freudenberg-Vorsitzender Christian Janusch
Christian Janusch von Fortuna Freudenberg vergleicht die Lage im Ort mit "einer Narbe, die nur langsam verwächst"
© Sandra Stein

Es ist die Zeit, da bei den Seelsorgern die Telefone nicht stillstehen und sich tief nachts noch schlaflose Menschen melden mit der Bitte um Hilfe oder ein offenes Ohr.

Die Zeit, da Bürgermeisterin Nicole Reschke von Hassmails berichtet. Nur weil sie zu einem vernünftigen und maßvollen Verhalten mit allen drei Familien aufgerufen hatte, "das hat mich überrollt".

Und es ist die Zeit, da der Vorsitzende des örtlichen Fußballklubs, Christian Janusch, angefasst im Vereinsheim von SV Fortuna Freudenberg vor einer Wand mit Pokalen sitzt und das Gefühl dieser Tage beschreibt als "ein Nebel, eine Dunstglocke, ein Betonklotz über der Stadt".

Das ist die Gemengelage im Frühjahr.

Über Monate hinweg sind zwei Reporter des stern in regelmäßigen Abständen in den Ort gefahren. Sie haben mit Politikern gesprochen, mit Behördenvertretern, mit Seelsorgern und einem Geistlichen, mit Bürgern, Gastronomen, Vereinsvertretern – und schließlich auch mit dem Vater einer der Täterinnen. Sie konnten den Tathergang und die Motivlage rekonstruieren – sofern man von einem Motiv überhaupt reden kann.

Sie gingen aber auch der Frage nach, wie eine kleine Stadt dieses große Verbrechen verarbeitet. Wie umgehen mit den Familien? Und wie mit den jungen Täterinnen, vor denen noch ein Leben liegt?

Erschienen in stern 50/23