Menschenrechtsaktivistin "Wir müssen die bessere Party sein": Düzen Tekkal und Khesrau Behroz über den Umgang mit der AfD und ihren neuen Podcast

Düzen Tekkal und Khesrau Behroz haben sich nicht gesucht, aber gefunden – und diskutieren jetzt einmal die Woche über die wirklich wichtigen Themen. 
Düzen Tekkal und Khesrau Behroz haben sich nicht gesucht, aber gefunden – und diskutieren jetzt einmal die Woche über die wirklich wichtigen Themen. 
© Marie-Lilien Funk
Düzen Tekkal ist dafür bekannt, sich lautstark für Menschenrechte einzusetzen. Das macht sie jetzt auch gemeinsam mit dem Journalisten Khesrau Behroz – auf einem neuen Kanal. 

Sie sind beide bekannte Persönlichkeiten, traten aber bisher nur selten zusammen auf. Bis jetzt. Seit dem 14. Juli 2023 sprechen Sie jede Woche in Ihrem neuen Podcast "TEKKAL & BEHROZ" über das, was Sie bewegt. Wie kam es dazu?

Düzen Tekkal: Ich habe Khesrau überredet, den Podcast mit mir zu machen. Er hatte mich damals gefragt, ob ich das nicht allein machen möchte – und das fand ich ziemlich blöd. Das hat ganz viel damit zu tun, wie ich durch das Leben gehe. Für mich besteht das Leben aus Begegnungen und findet in Gegenüberschaft statt. Es geht immer darum, voneinander zu lernen und sich mit anderen zu verbinden. 

Und wie sind Sie sich begegnet?

Tekkal: Als ich Khesrau kennengelernt habe, war das wirklich schwesterlich-brüderliche Liebe auf den ersten Blick. Wir saßen damals gemeinsam auf einem Podium des Vereins medianet berlinbrandenburg und sollten einer Gruppe von Journalisten die Welt erklären. Innerlich musste ich da schon schmunzeln, weil mir in dem Moment bewusst wurde, dass da ein Afghane und eine kurdische Jesidin sitzen, die den deutschen Medienleuten Storytelling erklären dürfen. Für mich war das etwas sehr Besonderes. Ich würde mich natürlich nie darauf reduzieren lassen wollen. Aber es geht darum, dass wir Mehrfachidentitäten haben. Und ich habe damals schon gemerkt, was für ein geiles Match wir sind und dass wir mal was zusammen machen sollten. Das Eis hat Khesrau dann aber endgültig gebrochen, als er nach dem Auftritt sagte, dass ich ihn an Jürgen Klinsmann erinnere.

Das müssen Sie erklären …

Khesrau Behroz: (lacht) Das kann man glaube ich so stehenlassen. Ich kannte Düzen damals nur aus der Ferne und habe dann zu ihr gesagt, dass ich mir so Jürgen Klinsmann in der Halbzeitpause vorstelle. Wenn er seine Mannschaft anbrüllt und sie motiviert und ihnen Mut zuspricht. Düzen ist für mich eine absolute Motivatorin, jemand, der Leute zusammenbringt und Teams bildet, um neue Wege zu gehen und auf Dinge aufmerksam zu machen. Mit ungefähr dieser Energie hat sie es dann auch geschafft, mich zu diesem Podcast zu überreden. Wir haben eine Probeaufnahme gemacht und dann war die Geschichte eigentlich schon geschrieben.

Gastgeber im eigenen Land sein

Sie haben eben gesagt, dass es etwas Besonderes war, dass Sie beide den deutschen Journalisten die Welt erklären. Auch die Podcastszene besteht überwiegend aus Menschen ohne Migrationshintergrund. Warum ist das so? Deutschland wird schließlich immer diverser.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?

Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.

Behroz: Ich würde sagen, das hat auch viel mit Selbstverständlichkeiten zu tun. Menschen, die es gewohnt sind, Räume zu bekommen und gehört zu werden, werden diese Räume auch eher nutzen. Leute wie wir sind tendenziell eher vorsichtiger und selbstkritischer. Unsere Haltung ist deshalb inzwischen, das Ganze umzudrehen. Wir sind keine Gäste mehr in Deutschland, sondern auch Gastgeber. Wir sind genauso Teil der Gesellschaft wie alle anderen auch und fordern deshalb auch den Raum ein. Es ist ein kleiner Schritt zu mehr Diversität in der Podcastlandschaft.

Düzen Tekkal ist Sozialunternehmerin, Menschenrechtsaktivistin und Politikwissenschaftlerin. Gemeinsam mit dem Journalisten und Podcaster Khesrau Behroz bespricht sie seit dem 14. Juli 2023 im Podcast "TEKKAL & BEHROZ" jede Woche Freitag wichtige gesellschaftspolitische Themen – überall da, wo es Podcasts gibt. 
Düzen Tekkal ist Sozialunternehmerin, Menschenrechtsaktivistin und Politikwissenschaftlerin. Gemeinsam mit dem Journalisten und Podcaster Khesrau Behroz bespricht sie seit dem 14. Juli 2023 im Podcast "TEKKAL & BEHROZ" jede Woche Freitag wichtige gesellschaftspolitische Themen – überall da, wo es Podcasts gibt. 
© Rachel Israela

Tekkal: Wir haben uns auch die Frage gestellt, ob es jetzt wirklich noch einen Laber-Podcast mehr braucht. Und dann haben wir gedacht: Ja. Das hat vor allem damit zu tun, dass wir aufgrund unserer Sozialisation und Lebensrealität einfach anders auf die Welt gucken als andere Menschen in Deutschland. Es gibt diesen typischen cis-Teil der Gesellschaft, der davon ausgeht, dass alles von ihm gehört und gesehen werden will, während andere Leute das Gefühl gar nicht haben. Und das macht auch etwas mit dem Selbstwertgefühl von Menschen.

Wie meinen Sie das?

Tekkal: Wir haben uns Zeit unseres Lebens Fragen gestellt wie "Darf ich das?", "Interessiert es, was ich zu sagen habe?". Ich finde, auch diese Geschichten haben einen Raum verdient, in all ihrer Verletzlichkeit und mit den Diskriminierungserfahrungen. Und niemand kann diese Geschichten besser erzählen als wir selbst. Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der es eine Selbstverständlichkeit dafür gibt, dass wir alle unterschiedlich sind. De facto leben wir aber in einer solchen Gesellschaft nicht, sonst hätten wir zum Beispiel auch keine 20 Prozent bei der AfD. 

Es soll im Podcast um Themen gehen, die in der großen Flut an Nachrichten untergehen. Was sind das konkret für Themenbereiche, die wir übersehen?

Behroz: Das Problem ist, dass wir in unserer Gesellschaft mit wahnsinnig vielen Krisen gleichzeitig konfrontiert werden. Es ist einfach viel los in der Welt. In den Nachrichten lesen wir dann immer von Events, wenn sie gerade aufkochen. Wir lesen, wenn ein Vulkan ausbricht, jemand den Krieg erklärt oder ein Anschlag passiert. Dann regt man sich kurz darüber auf und dann wird plötzlich nicht mehr darüber berichtet – und das Thema verschwindet wieder aus der Debatte. Und niemand weiß, was da eigentlich genau passiert ist und wie es vor Ort weitergeht. Ich glaube, es lohnt sich immer, mit ein bisschen Abstand nochmal auf solche Ereignisse zu schauen und sich zu fragen, was das Ganze eigentlich wirklich bedeutet – für die Betroffenen, für die Gesellschaft und vielleicht auch für einen selbst.

Tekkal: Unsere Aufgabe als Menschenrechtsaktivisten ist es, Geschichten zu erzählen, die niemand mehr hören will. Genau da müssen wir den Finger in die Wunde legen. Die Frage dabei ist auch, wie wir über diese Themen sprechen. Wie berichten wir über Afghanistan, den Iran und den Irak? Es reicht nicht, die Nachricht einmal medial durch das Dorf zu jagen und sich dann anderen News zu widmen. Für die Menschen vor Ort geht die Realität weiter. Mit unseren Erfahrungswerten gucken wir auf viele Geschichten deshalb aus einer anderen Perspektive. Der Podcast ist ja nicht unser Hauptjob, sondern eine Stunde in der Woche, in der wir über die Themen sprechen, die uns im Alltäglichen begegnen und bewegen.

Menschenrechtsverletzungen sichtbar machen

Sie beschäftigen sich beide in ihrem alltäglichen Leben mit den Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, die viele von uns lieber ignorieren, schauen hin, wenn andere wegschauen. Was reizt Sie daran so?

Behroz: Für mich als Journalist gilt, dass eine Information allein nicht genügt. Wir brauchen immer Kontext und den großen Bogen. Um eine Sache zu verstehen, müssen wir manchmal in der Zeit zurückgehen. Ich möchte die Ereignisse einordnen und erklären, warum es so weit kommen konnte. Das bedarf eines langen Atems und bedeutet viel Arbeit. Aber das ist genau das, was wir versuchen wollen.

Tekkal: Wenn ich ganz ehrlich sein darf, hat das bei mir auch etwas mit einem Schmerz zu tun. Ich kann und will es nicht durchgehen lassen, dass relevante Geschichten aus der Öffentlichkeit verschwinden, weil ein großes Medienunternehmen beschlossen hat, nicht mehr darüber zu berichten. So funktioniert die Welt nicht. Menschenrechtsverletzungen weltweit müssen gesehen und gehört werden, die betroffenen Menschen haben das Recht darauf – und zwar fortwährend. Das ist auch der Grund, warum wir uns selbst zu Gastgebern gemacht haben. Das gibt uns die Macht, selbst zu entscheiden, welchen Themen wir uns widmen.

Ein Thema, das medial in den letzten Wochen sehr präsent war, ist die steigende Zustimmung für die AfD. Auch ein Symptom einer sich verändernden Gesellschaft, das viele Menschen beunruhigt. Wie sollten wir damit umgehen?

Tekkal: Ich glaube, dass wir uns auf die 80 Prozent konzentrieren sollten, die nicht für die AfD sind und anfangen sollten, ihnen zuzuhören und auf sie einzugehen. Und zwar nicht mit einem erhobenen Zeigefinger, sondern indem wir einfach die besseren Argumente liefern. Am Ende des Tages müssen wir die bessere Party sein. Das bedeutet unter anderem, dass wir Demokratie-Konzepte vorlegen, die funktionieren und vertrauensbildende Maßnahmen schaffen. Und wenn es Probleme gibt, müssen wir diese auch benennen. Jedes Thema, das wir nicht angehen, wird von Parteien wie der AfD besetzt und für den Eigenzweck benutzt.

Behroz: Wir bieten unsere spezielle Perspektive auf die Nachrichtenlage an. Was die Menschen damit machen, das bleibt am Ende ihnen überlassen. Wir laden die Leute in unser Wohnzimmer ein. Es geht nicht nur um die Nachrichtenlage, sondern auch darum, Lebensfreude zu feiern und sich über die Freuden des Alltags auszutauschen. Es geht um Nahbarkeit und Authentizität, wir sind auch normale Menschen, die sich über das Leben unterhalten. Aber wir versuchen das eben auch, mit dem großen Ganzen zu verknüpfen.

Tekkal: Der Podcast ist auch ein Raum für alle. Eine Art Heimat in diesen unüberschaubaren Zeiten, die viele überfordern. Lachen und leiden liegen bei uns ganz nah beieinander. Wir wollen auch den inneren Reichtum von Mehrfachidentitäten hörbarer und sichtbarer und damit selbstverständlicher machen.

Düzen Tekkal und ihr Kampf für das Leben

Diese Balance aus Lachen und Leiden, die Sie gerade beschreiben – wie gelingt einem das?

Behroz: Düzen verbindet beides ja schon immer miteinander. Sie teilt neben den vielen Geschichten aus Krisengebieten auch die schönen Momente mit ihren Herzensmenschen. Das ist am Ende das, wofür sie kämpft. Es ist doch total menschlich, beides in sich zu tragen und auszuleben. Das geht uns doch in Wahrheit allen so.

Tekkal: Die Frage ist tatsächlich, wogegen kämpfen wir denn eigentlich an? Wir kämpfen doch für etwas, nicht gegen etwas. Wir kämpfen für das Leben, für die Liebe, für die Menschlichkeit. Immer dann, wenn wir gegen Kriegstreiber, Völkermorde und andere Menschenrechtsverletzungen angehen, geht es am Ende doch darum, dass wir uns für das Leben einsetzen. Es macht die Geschichte für mich also nur rund, zu seiner ehrlichen Lebensfreude zu stehen und sie auszuleben. Überlebende Jesidinnen haben mich gelehrt, dass das schlechte Gewissen weder den Lebenden noch den Toten hilft. Und die haben ganze Familien verloren. Sie sehen sich als Überlebende mit einer Botschaft. Wenn sie dazu in der Lage sind, das Leben zu genießen, wer sind wir denn dann, uns im Weltschmerz zu suhlen? Natürlich gibt es auch in Europa Probleme und Sorgen, aber es sollte schon alles im Verhältnis stehen, finde ich.