Jagoda Marinić Der Frieden von morgen: Wie auch die Diaspora vom Krieg im Nahen Osten betroffen ist

Der Krieg im Nahen Osten betrifft auch die Diaspora hier in Deutschland
Der Krieg im Nahen Osten betrifft auch die Diaspora hier in Deutschland
© Illustration: Lennart Gäbel
Der Krieg im Nahen Osten betrifft auch in Emigration lebende Menschen. Unsere Kolumnistin kennt das aus ihrer Jugend und wirbt um Mitgefühl – für beide Seiten.

Für mich als Kolumnistin ist das Magazin, für das ich schreibe, Woche um Woche fast so überraschend wie für die Leserinnen und Leser. Zuletzt war ich den Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar, als ich den stern sah und auf dem Titel stand: Nie wieder ist jetzt.

Es ist mir nach dem 7. Oktober wichtig, wie Menschen sich positionieren. Die brutalen Angriffe der Hamas in Israel haben Gewalt gegen Juden weltweit zur Folge. Ich verstehe nun – nicht nur theoretisch und historisch, sondern körperlich und jetztzeitig –, warum es so viele Polizisten braucht vor der Synagoge in der Brunnenstraße, an der ich früher oft vorbeilief, als ich in Berlin wohnte. Die Polizeipräsenz hat mich damals bedrückt, manchmal kam mir die Bedrohung abstrakt vor. Das ist vorbei.

Antisemitismus und Gewalt sind Folgen des Terrors

Man sieht jetzt, dass die Gewalt der Hamas wie ein Katalysator wirkt: Bilder aus Dagestan, wo Judenhasser am Flughafen Menschen jagen, die aus Tel Aviv landeten. Gewalt auf deutschen Straßen. Hoffnung gab mir ein Bild, das der ehemalige Regierungssprecher und heutige Botschafter in Israel, Steffen Seibert, teilte: Menschen in Kreuzberg stehen vor einer Synagoge und schützen sie an jenem Freitag, an dem zu Gewalt gegen Juden aufgerufen worden war. Ja, nie wieder ist jetzt.

Jagoda Marinić
© Gaby Gerster

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin verschiedener Bücher (zuletzt "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?", "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land") und Host des Podcasts "Freiheit Deluxe". Als Moderatorin der Literatursendung "Das Buch meines Lebens" (Arte), fragt sie bekannte Persönlichkeiten, wie das Lesen ihr Leben verändert hat. Auf Twitter und bei Instagram findet man sie unter @jagodamarinic.

All das weckt in mir Erinnerungen an den Bürgerkrieg meiner Kindheit, als Jugoslawien von der Landkarte verschwand. Die Parteien, die woanders Krieg führten, lebten alle auch hier. Jene, die halfen, urteilten und über den Lauf der Dinge mitentschieden, lebten ebenfalls hier. Im Fall von Israel ist das für alle in Deutschland noch komplexer, deshalb will ich ein paar Gedanken über die Diaspora in Kriegszeiten teilen. Wir reden über den Nahen Osten, aber es geht auch um die Menschen unter uns. Jene, die es nicht schaffen, den Terror der Hamas zu verurteilen, sind außen vor. Doch mit allen anderen sollten wir uns beschäftigen – und sie sich mit uns.

Alles Barbaren?

Wenn ich als Teenager in Kriegszeiten hörte, die auf dem Balkan seien alle Barbaren, hat mich diese Entmenschlichung befremdet. Dort unten waren meine anderen Menschen, sie waren keine Barbaren, selbst wenn manche Barbarisches taten. Viele in der Diaspora hatten ein schlechtes Gewissen, vom Krieg verschont zu werden. Ich schwor mir damals, zu versuchen, nicht zu hassen, allein weil in meinen Jugendtagen und -nächten keine Bombenflieger über mir unterwegs waren. Ich dachte, irgendwann wird der Moment kommen, an dem ein paar Menschen bereit sind, sich zu versöhnen. Ich habe unterdessen versucht, von hier aus nicht zu verurteilen, wenn die Menschen dort doch hassen mussten, weil sie Unmenschliches gesehen hatten. Ja, auf beiden Seiten, selbst dann, wenn die eine im Recht war. Ich wollte aus dem Frieden heraus nicht moralisch über jenen stehen, die kämpften. Ich wollte nicht behaupten, es lasse sich alles auch anders lösen. Das ist das Mindeste an Respekt gegenüber jenen, die im schlimmsten Fall mit ihrem Leben bezahlen. Ich wollte den Glauben an das Völkerrecht nicht verlieren, auch wenn es gebrochen wurde; diese zivilisatorische Ambition muss man erhalten.

Jetzt ist die Diaspora gefragt

Alle, die jetzt die Diaspora sind, haben Mitgefühl verdient. Sie haben aber auch eine Verantwortung. Es braucht jene Palästinenser hier, die Empathie ermöglichen, weil sie ihre Verletzung zeigen. Sie sollten aber deutlich machen, dass der Terror der Hamas nicht in ihrem Namen geschieht. Es geht darum, in Zeiten des Krieges in der Diaspora eine Kultur zu entwickeln, die den Frieden von morgen zu denken und zu fühlen versucht. Es mag eine Utopie sein, aber wo wären wir ohne sie?