Feminismus ist für viele ein Reizwort. So wie fast alle Ismen, und doch haben Ismen Hochkonjunktur. Kaum eine Diskussion kommt derzeit ohne Begriffe wie Rassismus, Sexismus oder Klassismus aus. Es geht dabei um Diskriminierung, natürlich ist das Reden darüber wichtig. Sieht man jedoch genauer hin, geht es auch ein bisschen um eine Art Erklärbärkult, der gerade hip ist: "Ich erkläre, also bin ich."
Das Gegenüber soll möglichst auf Empfang stellen und am Ende des Vortrags sagen: "Danke, verstanden!"
Bitte, was?!
Am amüsantesten sind Erklärbär:innen, die sich über Klassismus empören und somit für die Arbeiterklasse reden wollen, es aber nicht schaffen, auch nur einen Satz ohne pseudosoziologische Wortmonster zu produzieren. Selbst akademisch Gebildete brauchen für solche Gespräche ein Wörterbuch der menschenrechtlichen Modebewegungen.
Seit Annalena Baerbock Außenministerin ist, hört man nun immer wieder den Begriff "feministische Außenpolitik". Noch kann sich niemand wirklich etwas darunter vorstellen, auch die Außenministerin hat das Thema nicht klar definiert. Es ist also der perfekte Moment für Erklärbärinnen: Wir Feminstinnen suchen und finden jetzt Gründe dafür, warum eine feministische Außenpolitik gut für die Welt sein wird.
Natürlich ernten wir Spott, denn bisher kam die Welt ohne den Feminismus vor der Außenpolitik aus. Außerdem wird Neues nie bejubelt. Zu Recht fragen manche, warum es nicht "menschenrechtsgeleitete" statt "feministische" Außenpolitik heißen kann. So kam es im Parlament vor ein paar Tagen zu einem Schlagabtausch zwischen der Feministin Annalena Baerbock und dem Maskulinisten Friedrich Merz.
Mal wieder Friedrich Merz
Merz hatte bei der Bundestagsdebatte die Mittel für die Bundeswehr gegen die feministische Außenpolitik ausgespielt. Baerbock nutzte wiederum ihre Rede, um dieses Merz’sche Gegeneinander von Bundeswehr und feministischer Außenpolitik zu kritisieren. "Mir bricht es das Herz", fing sie an, und Merz konnte nicht anders, als sich voll Theatralik ans Herz zu fassen und sie mit spöttischer Geste zu verhöhnen.
Erstaunlich, wie schnell Merz sein Herz gefunden hat. Baerbock berichtete unbeirrt davon, wie sie die Woche zuvor die Mütter von Srebrenica besucht hatte. Sie erzählte, wie sehr die Frauen bis heute darunter litten, dass der Internationale Strafgerichtshof die strategischen Vergewaltigungen nicht als Kriegshandlung anerkannt hat. Merz saß klein da, ganz klein. Wie lieb wäre ihm wohl gewesen, Frau Baerbock hätte über das Gendern gesprochen.
Der Feminismus und das eigentliche Problem
Merz wurde von einigen in Schutz genommen, er hätte, als er spottete, ja nicht wissen können, dass es gleich um straffreie Vergewaltigungen im Krieg gehen würde. Mag sein, wobei das sein Spotten nicht besser macht.

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Diese Szene verdeutlicht jedoch neben Merz’ Hochmut gegenüber Frauen auch einen Fehler, der Feministinnen selbst zuzuschreiben ist: Seit Jahren führen wir unsere feministischen Debatten in Deutschland so, dass die meisten nicht mehr mit existenziellen Themen rechnen.

Jagoda Marinić
Die Schriftstellerin und Politologin Jagoda Marinić („Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?“, „Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land“) schreibt alle zwei Wochen – im Wechsel mit Micky Beisenherz – im stern.
Wir streiten über das Gendern, als wüssten wir nicht, dass Aufmerksamkeit ein begrenztes Gut ist und Frauen noch viele andere Sorgen haben. Die Frage etwa, wie Mädchen aus ärmeren Familien an deutschen Schulen eine gute Zukunft haben können. Oder was aus den Zehnjährigen in Afghanistan wird, die wieder weinen, weil die Taliban Mädchen erneut vom Unterricht ausschließen.
Feministische Außenpolitik heißt im besten Fall, der deutsche Feminismus wird wieder grundsätzlicher, weil er auch große Fragen stellt.