Interview Ex-Lehrerin berät frustrierte Lehrkräfte: "Der Job macht sie kaputt"

Lehrermangel: Isabell Probst begleitet Lehrkräfte beim Berufswechsel
Isabell Probst unterrichtete an einem Gymnasium, bevor sie den Schuldienst verließ 
© Ingo Kaiser
Isabell Probst war Lehrerin am Gymnasium. Heute berät sie frustrierte Lehrkräfte beim Berufswechsel. Hier spricht sie über Folgen des Lehrermangels und Ängste im Schuldienst.

Dieses Interview erschien stammt aus dem stern-Archiv und erschien zuerst im Mai 2023. 

Frau Probst, warum wollen Lehrer ihren Beruf aufgeben?
Die Lehrkräfte, die sich bei mir melden, sind überlastet und frustriert. Sie stecken in einer beruflichen Krise. Oft haben sie schon vieles versucht, um sie zu lösen. Sie haben ihr Zeitmanagement optimiert, Achtsamkeitskurse belegt, sich vielleicht sogar an eine andere Schule versetzen lassen. Aber sie merken: Es wird nicht besser. Und das liegt auch an einem verrotteten Schulsystem.

Was heißt das konkret?
An erster Stelle steht die hohe Arbeitslast. Die Lehrpläne sind überfrachtet, die Klassen zu voll, die Lehrkräfte sollen zu viele Stunden in der Woche unterrichten. Dazu kommen die Verwaltungsaufgaben. Viele Lehrkräfte können ihren eigenen Erwartungen im aktuellen Schulsystem nicht gerecht werden. Die Umstände zwingen sie, ihren Job in einer Weise zu machen, der sich nicht mit ihren Werten deckt.

Welche Werte meinen Sie?
Die meisten werden Lehrerinnen, weil ihnen etwas an Schülern liegt. Weil sie in Beziehung zu ihnen treten wollen. Aber wie soll das in diesem System funktionieren? In den Schulen herrscht pädagogische Triage. Man kann unmöglich allen helfen, also schaut man, wer die Hilfe am nötigsten braucht. Der Rest ist Massenabfertigung, didaktische Fließbandproduktion. Als Lehrkraft muss man erst mal begreifen, dass man den meisten Schülern nicht die Aufmerksamkeit schenken kann, die sie brauchen.

Wie gehen die Lehrer damit um?
Viele macht das total fertig. Sie versuchen, die Schieflage im System mit Überstunden zu kompensieren. Dann sitzen sie auch um 22 Uhr noch am Schreibtisch und telefonieren die Eltern der Schüler ab. Auf Dauer lässt sich das aber kaum durchstehen. Um auszuhalten, dass man nie allen gerecht werden kann, entfremden sich viele Lehrkräfte irgendwann von den Schülern. Und von ihrem Job.

Lehrermangel: Isabell Probst berät Lehrerinnen beim Ausstieg
Isabell Probst unterrichtete Englisch und Geschichte als verbeamtete Lehrerin an einem Gymnasium. 2015 verließ sie den Schuldienst. Heute leitet sie ein Unternehmen, das Lehrkräfte beim Berufswechsel begleitet. Ihr Buch "Ausgelehrt. Ab morgen läuft die Schule ohne mich!" erschien 2019. Probst betreibt den Podcast "Life after Lehramt"
© Ingo Kaiser

Ist das der Hauptgrund, weshalb sich Lehrer zu einem Ausstieg beraten lassen?
Es gibt noch einen Faktor, der viele aus dem Beruf drängt: Ihre professionelle Weiterentwicklung wird ausgebremst. Wer sich fortbilden will, tut dies oft gegen Widerstände. Mancherorts sind Fortbildungen ausgesetzt, weil nicht genügend Personal für das Kerngeschäft da ist. Alles kreist ums Unterrichten, und nichts daran ändert sich. Egal, ob man nun 26 ist oder 66.

Weiß man das nicht schon, wenn man sich für den Beruf entscheidet?
Viele merken erst nach ein paar Jahren im Dienst, wie viel sich in dem Job wirklich wiederholt. Es mag spannend sein, dass man immer wieder vor neuen Menschen steht. Aber inhaltlich ist es das totale Verdorren. Die Lehrpläne zwingen zur oberflächlichen Hetze. Und Konzepte, um das zu ändern, scheitern oft am Ressourcenmangel und der Bürokratie. Viele Lehrkräfte zermürbt das.