Social Media Hass und Gewalt bei Tiktok und Instagram: Was Eltern, Lehrer und Betroffene dagegen tun können

Dabei sein, dazugehören, mitmachen – Social Media mobilisiert vor allem im Schlechten
Dabei sein, dazugehören, mitmachen – Social Media mobilisiert vor allem im Schlechten
© Collage/Illustration: Julius Maxim
Tatort Handy: Junge Nutzer von Social Media sind Hass, Mobbing und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Was Eltern, Lehrer und die Betroffenen selbst dagegen tun können.

Diesen Artikel können Sie sich auch anhören:

Die letzten Sekunden seines Lebens verbrachte Ian Ezquerra auf Snapchat. Zweimal lud der 16-Jährige Videos von sich hoch, in denen er eine Patrone in einen Revolver steckte, die Trommel drehte und sich die Waffe an die Schläfe hielt. Und abdrückte. Russisches Roulette heißt das grausame Spiel. Zweimal hatte er Glück. Einen dritten Versuch brach er ab. Das vierte Video wurde nie hochgeladen.

Ian, ein Junge aus Florida, starb am 14. August 2019 durch einen Kopfschuss mit der Waffe seines Vaters. Sein Handy lag neben ihm. Für die Polizei war der Fall schnell abgeschlossen: ein Teenager, der Suizid begangen hat.

Viel wahrscheinlicher ist inzwischen: Er war ein Teenager, der sein Leben aufs Spiel setzte, weil er Aufsehen erregen wollte. Seine Mutter Jennifer Mitchell lastet es dem Social-Media-Giganten Snap an, mit seinen ausgeklügelten Algorithmen die Nutzer zu immer waghalsigeren Wettbewerben zu animieren. Könnte sie die Zeit nur zurückdrehen – heute wünscht sie sich sehnlichst, sie hätte mehr über die Mechanismen gewusst, denen ihr Kind ausgesetzt war.

Jennifer Mitchell hält ein Bild von ihrem verstorbenen Sohn
Jennifer Mitchells Sohn Ian kam während einer Mutprobe auf Snapchat ums Leben
© Zack Wittman

Man könnte meinen, das schreckliche Sterben von Ian im Waffenirrenhaus USA sei ein so drastischer Fall, dass man sich darüber in Deutschland nicht den Kopf zerbrechen müsste. Amerika ist weit weg und sowieso immer extremer als Europa. Auch diesen Abwehrreflex gibt es: So etwas kann nur bei völlig unfähigen Eltern passieren.

Beides ist falsch. Es passiert hier, jetzt, bei uns allen. Pädagogen, Psychologen, Wissenschaftler sind alarmiert. Der Arzt und Suchtexperte Gabor Maté schreibt in seinem gerade auf Deutsch erschienenen "New York Times"-Bestseller "Vom Mythos des Normalen": "Ich halte den Einfluss des Digitalen für fast unergründlich schädlich."

Erschienen in stern 28/2023