In Polen regiert seit acht Jahren die katholisch-nationalistische PiS-Partei mit absoluter Mehrheit. Für "Recht und Gerechtigkeit" möchte das Bündnis rund um Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und den Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski stehen. In ihrer Lesart bedeutet dies vor allem Hetze gegen Geflüchtete, einschneidende Reformen in die Rechte von Frauen und Mitgliedern der LGBTQ-Community sowie das Aufleben eines neuen Nationalstolzes. Bei der Präsidentschaftswahl am 15. Oktober muss die PiS nun nach acht Jahren um den Verlust ihrer absoluten Mehrheit bangen. Ausgerechnet ein Konkurrent aus dem rechten Lager könnte ihnen dabei gefährlich werden.
Umfragen sehen die PiS mit 38 Prozent zwar etwas vor der größten Oppositionspartei, der Bürgerplattform KO (30 Prozent), welche vom ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk angeführt wird. Eine absolute Mehrheit für eine der Parteien erscheint aber als unmöglich. Grund dafür ist vor allem ein Mann: Slawomir Mentzen. Der 36-Jährige ist Unternehmer und Steuerberater – und Vorsitzender der rechtsradikalen Partei Konfederacja, die sich in den letzten zwölf Monaten vom politischen Außenseiter zur drittstärksten Kraft in Polens Parteienlandschaft entwickelt hat.
Slawomir Mentzen: Rechter Politiker und Tiktok-Star
Den Erfolg hat Mentzen vor allem seinem Auftritt in den sozialen Medien zu verdanken. Dort versammelt er 785 Tausend Follower hinter sich. In seinen Tiktoks verspricht Mentzen jede:r Pol:in wahlweise niedrige Steuern, zwei Autos, ein Haus außerhalb der Stadt oder die Legalisierung von Marihuana. 18,5 Millionen Likes hat der Politiker so unter seinen Postings gesammelt. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr war der SPD-Landtagsabgeordnete Lutz Liebscher aus Thüringen mit insgesamt 3,9 Millionen Likes der reichweitenstärkste deutsche Politiker auf Tiktok.
Mentzens Tiktoks sind auf den ersten Blick alles andere als rechtsradikal. In einem seiner berühmtesten Videos äußert er sich zum Thema Steuersenkungen: "Die Steuern werden niedrig und simpel sein", verspricht er. "Man muss nur wollen und können - und wir wollen das sehr." Ermöglicht werden soll das laut Mentzen durch das Ende jeglicher Sozialprogramme. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und für sein persönliches Schicksal verantwortlich – "wie bei Elon Musk!"
Der Aufstieg der extrem rechten Konfederacja
So bunt wie Mentzens Themen auf Tiktok sind auch die Positionen der Konfederacja. Die Partei ist ein Sammelbecken für extreme Nationalisten, katholische Fundamentalisten und einem extrem libertären Flügel, welcher der US-amerikanischen Tea Party ähnelt.
Zu letzterem zählt auch Slawomir Mentzen. Er unterstützt das Recht Waffen zu besitzen und ist für die Einführung der Todesstrafe – ganz nach amerikanischem Vorbild. Vor den letzten Wahlen 2019 sagte er bei einer Wahlkampfveranstaltung aber auch, seine Partei wäre für alle "Wähler, die keine Juden, Schwulen, Abtreibungen, Steuern und die Europäische Union wollen".
Junge Polen setzen Hoffnung in Mentzen
Diese extremen Haltungen gepaart mit Mentzens Kommunikation über Tiktok haben der rechtspopulistischen Konfederacja vor allem bei jüngeren Wählern einen regelrechten Hype beschert. Zwischenzeitlich stiegen ihre Umfragewerte auf 15 Prozent. Bei Männern im Alter von 18 bis 39 ist die Konfederacja in Umfragen sogar bereits die stärkste Kraft. 37 Prozent der jungen Polen würden für sie stimmen.
Mentzen verkauft sich selbst als Anti-Politiker, der gegen das Establishment in Warschau kämpft. Dieses Image verfängt bei einem jungen Publikum, welches dem eigenen Staat immer weniger zu vertrauen scheint. Viele junge Pol:innen sehen sich im Vergleich zu älteren Generationen ungesehen und benachteiligt. Der 36-jährige Politiker greift diese Wut in seinen Videos auf. In Bezug auf Vize-Premierminister Jaroslaw Kaczynski, 73 Jahre, und Donald Tusk, 66 Jahre, giftet er auf Tiktok: "Beide sind älter als meine Eltern. Es ist Zeit sie in den Ruhestand zu schicken, damit sie aufhören, über das Leben junger Menschen zu bestimmen."
In polnischen Medien äußern sich viele aus der Gen Z kritisch zu den Spitzenkandidaten Tusk und Morawiecki. Gegenüber der Gazeta Wyborcza, Polens zweitgrößter überregionaler Tageszeitung, spricht die 30-jährige Sekretärin Karolina symptomatisch: "Diese schimmlige Generation von Politikern wird bis zu ihrem Tod über den Kommunismus, die Kirche und den Papst diskutieren, als würden sie nicht verstehen, dass niemand in meinem Alter einen Scheiß darauf gibt." Sie wäre noch unentschlossen, gibt Karolina in dem Bericht an. Viele Punkte, vor allem Mentzens marktwirtschaftliche Perspektive, würden sie allerdings überzeugen.
Wer das Potenzial von rechtspopulistischen Parteien unter jungen Wähler:innen als rein osteuropäisch abzutun versucht, irrt. Auch in Deutschland scheint es als hätten die rechtspopulistische AfD die größte digitale Kompetenz und würden mit ihrer Haltung "gegen das System" einen Nerv bei jungen Menschen treffen. Laut einer Analyse des Redaktionsnetzwerk Deutschland und der Intermate Group haben die Accounts der AfD sowie deren Landesverbände und Spitzenpolitiker im Vergleich zu anderen Parteien mit Abstand die meisten Follower auf Tiktok und Youtube, auf denen viele junge Menschen aktiv sind. Nur bei Instagram steht die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte Partei nicht an der Spitze.
In einer Zeit von Inflation und limitierten Aussichten auf langfristigen Wohlstand, scheint Veränderung egal aus welchem politischen Lager für viele Unter-40-Jährige als wünschenswert. Die etablierten, demokratischen Parteien Polens und Europas müssen sowohl inhaltlich als auch kommunikativ einen Weg finden, die Lebensrealität junger Menschen stärker ins Auge zu fassen, um ihre Stimmen nicht nachhaltig zu verlieren.
Quellen: Guardian, Politico, Wyborcza, ARD, ZDF, Berliner Zeitung, Tiktok, Twitter Martin Fuchs