Liebe Leserin, lieber Leser,
geht es uns an, was Mathias Döpfner privat denkt, sagt, schreibt? Existiert ein öffentliches Interesse daran, dass für ihn Ossis entweder Faschisten oder Kommunisten sind, dass die Corona-Maßnahmen ihn an 1933 erinnern, dass Donald Trump einiges richtig gemacht hat und der Klimawandel absolut begrüßenswert ist, schon wegen der historisch belegten Produktivität von Wärmephasen?
Seit die "Zeit" private Nachrichten des Springer-Vorstandsvorsitzenden publik gemacht hat, debattiert Deutschland diese Fragen, genauso wie Döpfners Erläuterungen dazu, die sich streckenweise lesen, als wäre er ein ironischer Intellektueller, ein "Querdenker" in der ursprünglichen Vor-Corona-Bedeutung, also einer, der unkonventionell und originell denkt, halt quer, halt freier, radikaler. Jeder, der das nicht verstehe, so lässt sich Döpfner lesen, sei ein humorloser Spießer, vielleicht gar ein Gedankenpolizist.
Döpfner ist aber nicht auf dem aktuellen stern-Titel zu sehen, weil es um derlei Fragen geht oder um seine Person, so schillernd sie sein mag. Es geht nicht um die Frage, wer wem welche Nachrichten zugespielt hat. Und schon gar nicht darum, ob Verleger oder Medien klar parteiisch sein dürfen.
Es geht um ein Prinzip. Und das lautet, dass Redaktionen unabhängig sein müssen, auch von ihren Eigentümern, wenn sie wirklichen Journalismus betreiben wollen. So wichtig ist dieses Prinzip, dass Döpfner seinem Verlag einen Verhaltenskodex verordnet hat: "Die Geschäftsleitung überlässt journalistische Entscheidungen allein der Redaktion und mischt sich in diese nicht ein", steht da.
"Es geht darum, unabhängigen Journalismus zu verteidigen"
Dieser Grundsatz ist im Alltag schwierig genug abzuwägen, auch in unserem Haus. Aber er ist ganz wichtig. Wenn Döpfner Nachrichten schreibt, die sich wie Anweisungen lesen ("Stärke die FDP."), verletzt er dieses Prinzip. Dann wissen seine Führungskräfte im Zweifel, was sie liefern müssen, wollen sie nicht rausfliegen. Und dann sind seine Nachrichten nicht mehr Privatsache – weil es ein öffentliches Interesse gibt, Einflussnahme auf die Demokratie zu kontrollieren.
Noch mehr gilt das, wenn es erkennbar um persönliche Vorteile geht. Unser Autor Oliver Schröm, ausgezeichnet als "Journalist des Jahres" für seine Recherchen zum Steuerskandal Cum-Ex, hat herausgefunden, dass Döpfner sich 2006 ausgerechnet bei der Hamburger Skandalbank Warburg (später tief verstrickt in ebendiesen Steuerskandal) sehr viel Geld geliehen hat, um Springer-Anteile zu kaufen. Der zuständige Banker gewährte ihm trotz kaum eingesetzten Eigenkapitals 60 Millionen Euro – mit dem Hintergedanken, so vertraute er seinem Tagebuch an, dadurch dem Springer-Konzern nahezukommen. Diese Hoffnung erfüllte sich. Springer-Blätter schonten lange die Cum-Ex-Bank, der Aufsichtsratschef bekam die Gelegenheit, sich dort ausführlich zu rechtfertigen. Döpfners persönliche Verbindung fand keine Erwähnung, vermutlich wussten die jeweiligen Redaktionen davon auch nichts. Sie war für Döpfner aber ganz wichtig. Ohne ihre Unterstützung wäre sein berufliches Leben wahrscheinlich anders verlaufen, hat der Springer-Chef den Warburg-Bankern laut deren Aufzeichnungen gesagt.

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Es geht darum, unabhängigen Journalismus zu verteidigen, den viele Menschen in Deutschland jeden Tag voller Freude und voller Engagement verrichten. Sie wollen nicht als Propagandaassistenten oder Erfüllungsgehilfen gelten, schon gar nicht in Zeiten, da viele Menschen uns das reflexartig vorhalten. Sie wollen einfach ungestört ihre Arbeit machen können: bei Springer und in allen Häusern.
Herzlich Ihr,
Gregor Peter Schmitz
Mehr zum Skandal um Springer-Chef Mathias Döpfner finden Sie hier: