JAGODA MARINIĆ Gib dem Affen Stucki

  • von Jagoda Marinić
Marinic über Stuckrad-Barre und seinen Roman "Noch wach?"
Bei Jagoda Marinić wecken Hypes grundsätzlich ihre Abwehrreflexe
© Illustration: Lennart Gäbel; Foto: Gene Glover
Ein Autor lässt sich feiern, weil er ein #MeToo- System anklagt, von dem er lange profitiert hat. Und wer hört auf die Frauen, um die es geht?

Letzte Woche wurde uns wieder einmal ein Heiland geboren. Der Frühjahrsstern am Horizont führte die Menschen ins Berliner Ensemble, die Krippe von heute. Drei Heilige Könige reichten diesmal nicht. Es brauchte ein paar Hundert, die im Saal den König spielen. Die mir liebste Theaterweisheit lautet: "Den König spielen die anderen", hier kam sie voll zum Zug. Benjamin von Stuckrad-Barre lächelt vermutlich stolz in sich hinein, wenn er sieht, wie gut seine Zöglinge ihn spielen, er erzieht sie schließlich seit ein paar Jahrzehnten.

Hm, mit oder ohne "von", frage ich mich gerade. Ist dieses "von" überhaupt echt? So etwas Standesdünkliges wissen Arbeiterkinder natürlich nie. Ich weiß, ich weiß, ich trage mit dieser Kolumne zu ebendiesem Hype bei. Zu meiner Verteidigung möchte ich anbringen, dass ich weder wirklich über Stuckrad schreibe noch über sein Buch noch über sein Hypevolk, es ist alles nur von meiner Fantasie gedeckt. Fiktion gewissermaßen. Über das Buch kann ich auch nichts sagen. Ich bin nicht über eine Leseprobe hinausgekommen. Diesen Monat hab ich allerdings schon 25 Euro für Spaghettieis ausgegeben, damit ist mein Budget für süßen Giftcocktail raus.

Wie gesagt, alles frei erfunden hier, Ähnlichkeiten rein zufällig. Es geht um eine Art Romankolumne, ich bin Autorin, ich hoffe, alle verstehen meinen unverwechselbaren Sound.

Die Frauen fürchten unterdessen weiter

Grundsätzlich wecken Hypes meine Abwehrreflexe. Insbesondere, wenn sich die Kritiker darauf einigen, marionettenartig bei der Selbstinszenierung des Künstlers mitzuspielen. Schon Tage vor Erscheinen berichten fast alle brav von den Promi-Lesungen der einzelnen Kapitelüberschriften auf Instagram. Ach, spannend! Selbst die Veröffentlichung von Mathias Döpfners SMS in der "Zeit" wurde zu einem Vorspiel für den Roman. Man durfte kurz so tun, als wäre man schockiert über die Menschenverachtung dieses Verlegers, als hätte nie jemand eine "Bild" im Zugabteil liegen sehen oder gar gelesen.

Die Show, so waren sich alle einig, fängt mit dem Roman an, in dem die Wahrheit durch die Fiktion sichtbar werden darf; der Autor will schließlich nicht verklagbar sein. Als #MeToo-Roman wurde das Ganze angetrommelt, was der Autor natürlich verneint; er weiß, es wäre unschicklich, das zu beanspruchen. Er erzähle nur von diesem System. Von der Macht, ihrem Missbrauch und ihrer Faszination. Der Autor distanziert sich von einem System, das ihn reich gemacht hat. Weil die Zeichen der Zeit gerade anders stehen, erklärt er auf fast 400 Seiten: War nicht so schön, das alles mit anzusehen, nein. Alle Scheinwerfer auf ihn. Um die Frauen herum bleibt es dunkel. 

Die Frauen, die in und unter dem System litten, erzählen die wahren Geschichten unterdessen nach wie vor anonymisiert. Noch immer fürchten diese Frauen die Macht der Männer. Noch immer trauen Frauen sich nicht, als Opfer an die Öffentlichkeit zu treten – das ist, wo Deutschlands #MeToo nach Jahren steht. Nach Jahren der eher stotternden Versuche, auch in Deutschland Machtsysteme zu durchbrechen, ist dieser Hype der nächste Beweis dafür, dass wir die Wahrheit fürchten. Wir konsumieren sie lieber als inszeniertes Schauermärchen. Betroffene Frauen bleiben anonym und ungelesen. Daher die große Bitte: Kaufen Sie Bücher von Frauen, von Anne Rabe, Helga Schubert, von Tanja Maljartschuk und Jasmin Ramadan. Glauben Sie mir: Frauen können selbst reden, erzählen und schreiben, man muss nur das Licht einmal in ihre Richtung drehen.