Kolumne Marinić Schwätz-rot-gold

  • von Jagoda Marinić
Illustration Talkshows: Marinić, Jens Spahn, Markus Söder
Inwiefern bereichern Politiker eigentlich unsere Talkshows?
© stern-Montage: Fotos: Gene Glover / stern; Imago Images (2); Adobe stock (1)
In Deutschland wird zu viel hin- und hergeredet, oft ohne Ergebnis. Unsere Kolumnistin hat eine radikale Idee: Ladet weniger Politiker in Talkshows ein!

Wie soll man öffentlich konstruktiv reden? In Deutschland sind viele Menschen fast besessen vom Reden übers Reden. Ich versteh das: Wer viel redet, muss weniger tun. Ein gutes Beispiel dafür ist die leidige Deutsche Bahn. Es gibt kaum jemanden, der noch nicht über sie geredet hätte. Jede Kritik in jeder Lautstärke wurde schon an jedem erdenklichen Ort geäußert. Aber nichts passiert. Sonst könnte man nicht mehr über die Deutsche Bahn schimpfen, und vielleicht soll das Schimpfen unser Volkssport bleiben. Es ist ein Problem in diesem Land, dass es so viele Schwätzer gibt und dass aufs Reden nichts mehr folgt.

Nun lässt sich das leicht sagen, wenn man, wie ich es bin, Berufsschwätzer ist. Das ist ein Beruf, bei dem man aufpassen muss, den Immobilienmaklern nicht immer ähnlicher zu werden. Also muss man es zur Ehrensache machen, den Leuten keinen Quatsch anzudrehen. Was nicht einfach ist, denn Quatsch läuft ganz gut, geht schnell viral, und Empörung lässt sich kapitalisieren.

Bringen Politiker echte Inhalte in Talkshows?

Ich war kürzlich zum ersten Mal in der Talkshow von Markus Lanz. Es ging um Meinungsfreiheit und darüber, ob man heute noch alles sagen dürfe. Ein Thema, bei dem in Deutschland bekanntlich schnell gestritten wird, bei dem sich jeder irgendwie als Opfer fühlt, wenn ihm das Opfersein noch mehr Öffentlichkeit bringt.

Natürlich durften alle geladenen Gäste alles sagen, von Precht bis zu Brosius-Gersdorf, es war ruhig und zivilisiert, sicher nicht leidenschaftslos. Doch es gab kein Drama, stattdessen ein Hin und Her an Argumenten. Ich dachte wirklich: Das war der Versuch eines echten Gesprächs im öffentlich-rechtlichen TV. In den Tagen darauf bekam ich viel Publikumspost; ich las die Kommentare unter dem Youtube-Video und war überrascht, wie viele Zuschauer erleichtert waren, endlich mal kein gegenseitiges Aufpeitschen mitansehen zu müssen.

Schließlich las ich fast den gleichen Kommentar von unterschiedlichen Leuten immer wieder: Eine so sachliche Diskussion gelinge wohl nur, wenn keine Politiker in der Runde seien. Ich will kein Politiker-Bashing betreiben, aber hier gebe ich den Kommentar-Schreibern recht. Die Sprache in der Politik ist zum Problem geworden, so wie die politische Kultur des Koalierens. Seit der Ampel sehen wir ratlos dabei zu, wie innerhalb der Regierungsarbeit eigentlich Parteipolitik betrieben wird, und doch gewinnen weder CDU noch SPD an Profil. Die Grünen und die FDP haben sich so in die Bedeutungslosigkeit gestritten.

Es wird ständig über Wutbürger geredet. Ich frage mich, warum wir den Wutpolitiker noch nicht in den Blick genommen haben. Merz etwa, als er im Februar mit seiner Migrationswende lospolterte. Kubicki früher, Söder, die AfDler sowieso. Was wird uns hier vorgelebt? Wenn die schreien, schreien wir dann einfach genauso? Stinkt der Fisch von oben?

In Kroatien, dem Land meiner Eltern, in dem ich, wenn ich dort zu Besuch bin, auch mal fernsehe, sitzen in Politik-Talks selten Politiker. Was sollen die denn tun, außer ihre Politik zu verkaufen und zu streiten im Sinne der Partei? Da sitzen Menschen, die Politik beobachten und unabhängig kritisieren können. Bei CNN in den USA ist es in weiten Teilen auch so: Polit-Talks gibt es vor allem im harten Eins-zu-eins-Format, mit Journalisten, die sich darauf vorbereiten, ihr Gegenüber zu grillen.

Wir in Deutschland schenken Politikern Sendezeit in Massen – mit wenig Erkenntnisgewinn. Vielleicht sollten wir auch hier mal mehr Demokratie wagen und andere Gäste in die Talkshows lassen. 

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