Nachwuchs-Statistik Deutschland - kinderarm mit armen Kindern

In Deutschland leben immer weniger Kinder. Und von denen gelten laut Statistischem Bundesamt 15 Prozent als armutsgefährdet. Deutschland bildet mit diesen Zahlen das traurige Schlusslicht Europas. Eine Presseschau.

Die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Situation der Kinder in Deutschland sind ernüchternd. Nur noch 13 Millionen Deutsche sind minderjährig - mit sinkender Tendenz. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern hängt Deutschland bei der Zahl der Kinder um Längen hinterher. Während der Kinderanteil im Rest Europas meist bei über 20 Prozent liegt, sind nur 16,5 Prozent der Deutschen unter 18. Erschwerend kommt hinzu, dass viele der Kinder, die hier leben, auch noch von Armut bedroht sind.

Doch was tun? Und wer hat Schuld an der Situation?

Die Regierung, sagen einige - wegen mangelnden Kitaplätze und einer unattraktiven Familiengründung für berufstätige Eltern. Die Deutschen selbst und ihre Angst, sagen andere - der Wunsch, sich ins gemachte Nest zu setzen, viel von Politik und Gesellschaft zu erwarten, die Angst vor dem Risiko.

Wer oder was auch immer Schuld hat an der Vergreisung unseres Landes - die Inlandspresse ist sich einig, dass etwas unternommen werden muss. Eine Presseschau.

"Flensburger Tageblatt":

Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. Aber die neuen Kinderzahlen des Statistischen Bundesamtes sind ein dreifaches Armutszeugnis. Zum einen, weil trotz des hohen Pro-Kopf-Einkommens immer mehr Kinder in Armut fallen, mittlerweile rund zwei Millionen. Zum zweiten, weil der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren an der Gesamtbevölkerung stetig sinkt, und damit auch die Lebensfreude. Zum dritten, weil es der Politik nicht gelingt, familienfreundliche Verhältnisse zu schaffen - der Nestor der deutschen Sozialwissenschaften, Franz Xaver Kaufmann, prägte schon 1995 den Begriff der "strukturellen Rücksichtslosigkeit" gegenüber Familien - und damit dauerhaft die sozialen Vorsorgesysteme abzusichern. Das wird ohne Kinder und/oder harte Reformen nicht gehen.

"Südwest-Presse" (Ulm):

Leistungsfähigkeit und Lebensqualität hierzulande brauchen keinen Vergleich mit den Nachbarn zu scheuen. Nur beim Kinderanteil belegen wir den letzten Platz. Wie kommt das? Gewiss gibt der Staat durch seine Gesetze, die Verteilung von Steuergeldern und direkte Fördermaßnahmen den Rahmen vor, in dem Eltern ihre Entscheidung für ein Kind treffen. Die materielle Basis muss stimmen, ehe man eine Familie gründen kann. Wenn die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, gerät der Kinderwunsch für viele Paare zum Wagnis. Aber das ist nicht alles. Ja, die Verantwortung von Eltern wiegt schwer und verlangt Verzicht. Aber nach einem Wort des Philosophen Martin Buber sind Kinder "die ewige Glückschance der Menschheit". Die Deutschen sind dabei, diese Chance zu verspielen.

"Neue Westfälische" (Bielefeld):

Deutschland lässt sich seine Familien schon viel kosten. Es geht um eine möglichst gute Bildung für alle Kinder, damit sie später hochwertige Berufe ausüben können. Es geht auch um familienfreundliche Arbeitgeber, von denen es noch zu wenig gibt. Erst wenn Beruf und Familie selbstverständlich miteinander vereinbar sind, wird die Lust zum Kinderkriegen steigen. Immerhin wächst die Einsicht auf allen Seiten. Nun müssen Taten folgen.

"Neue Presse" (Hannover):

Das Kinderlachen, es verstummt so langsam in Deutschland. Lebten vor zehn Jahren noch mehr als 15 Millionen Minderjährige unter uns, so sind es mittlerweile nur noch 13 Millionen. Deutschland vergreist. Weder Vätermonate, Elterngeld, noch der sukzessive Ausbau von Betriebskindergärten und Krippenplätzen können den Deutschen offenbar die Angst nehmen, Kinder zu bekommen. Denn der Deutsche liebt das Rundumsorglospaket. Jegliches Restrisiko wird zur Bedrohung - und damit zum Geburtenverhinderer: Der Job könnte ja verloren gehen, der Partner doch nicht der Richtige sein - zudem sollte man in einer Leistungsgesellschaft eh flexibel und mobil bleiben. Geht es um Kinder, regiert schon lange nicht mehr die Politik, sondern die deutsche Angst.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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"Westdeutsche Zeitung" (Düsseldorf):

In einer Gesellschaft, in der die Wohlstandsentwicklung längst nicht mehr so homogen verläuft wie noch in den vergangenen Jahrzehnten, müssen sich immer mehr junge Menschen gegen Kinder entscheiden. Kinder kosten - Geld, Zeit und immer noch auch Karrieren. Wenn gleichzeitig die Einkommensschere etwa durch 400-Euro-Jobs und befristete Arbeitsverhältnisse insgesamt stetig weiter aufgeht, ist eben kein Geld für Kinder da. Doch Kinderarmut in Deutschland ist kein Schicksal, dem zu entrinnen unmöglich ist. Aber sie ist nur zu bekämpfen, wenn den Lippenbekenntnissen der Politiker aller Couleur und der Entscheider in der Wirtschaft sehr bald nachhaltig Taten folgen.

"Münchner Merkur":

Sofern die Gesellschaft Einfluss auf die Geburtenentwicklung nehmen kann, muss sie die Rolle übernehmen, die früher Großeltern und Tanten hatten. Sprich: für eine bezahlbare, lückenlose Betreuung und finanzielle Absicherung junger Familien sorgen. Nur so können Kinder wieder ein natürlicher Teil des Lebenssinns werden. Wenn das nicht gelingt, schrumpft unsere Zukunft.

DPA
hw/DPA