Auf dem Musikfestival "Fête de la Musique", das seit den 1980er-Jahren jährlich am 21. Juni in Frankreich und inzwischen auch in anderen Ländern gefeiert wird, kam es zu zahlreichen Angriffen auf Frauen. 145 Besucherinnen sollen laut Medienberichten Anzeige erstattet haben, weil sie mit einer Spritze gestochen worden sind. Betroffene klagten über Symptome wie Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen und entdeckten später Einstichstellen an Armen oder Beinen. Einige Opfer kamen für toxikologische Untersuchungen ins Krankenhaus. Was sich in den Spritzen befand, ist bislang jedoch unklar.
Bereits Tage vor der "Fête de la Musique" hatten feministische Accounts unter anderem auf Instagram davor gewarnt, dass mit Spritzen bewaffnete Männer auf Frauen losgehen könnten. Zu den möglichen Motiven gehören Frauenhass, Einschüchterung oder schlicht der Wunsch, feiernden Mädchen das Gefühl zu geben, sie seien nirgendwo sicher.
Das Phänomen heißt "Needle Spiking"
Neu ist das sogenannte "Needle Spiking" nicht. Schon 2021 gab es Fälle in Großbritannien. 2022 kam es in Belgien während eines Fußballspiels zu den Nadel-Attacken. Unter den Opfern waren sogar Kinder. Die Britin Sarah Buckle ist ebenfalls Opfer von "Needle Spiking" und berichtet in einem Beitrag von RTL davon, was ihr in einem Club in Nottingham passiert ist. "Meine Freunde haben mir erzählt, dass ich plötzlich nicht mehr sprechen oder singen konnte", erzählt sie. "Dann konnte ich nicht mehr stehen, habe mich übergeben und sogar das Bewusstsein verloren." Buckles Freunde riefen den Notruf und die junge Frau kam ins Krankenhaus. Dort entdeckte sie am nächsten Tag einen Einstich auf ihrer Hand.

Auch in Frankreich ist das Phänomen bekannt. Die französische Zeitung "Libération" hat sich im Mai 2022 ausführlich mit dem Thema beschäftigt. Nachdem in verschiedenen Städten Frankreichs Hunderte von Anzeigen eingegangen waren, nahm die Staatsanwaltschaft ihre Untersuchungen auf – allerdings förderten diese kaum substanzielle Ergebnisse zu Tage. Auch die toxikologischen Analysen der Opfer waren negativ, es konnten keine drogenartigen Substanzen nachgewiesen werden.
Offenbar, so die These, gehe es oft darum, mit einer leeren Spritze oder einer Nadel zuzustechen, um Panik zu schüren. Dass einige Betroffene nach dem Einstich tatsächlich Symptome wie Kopfschmerzen oder Schwindel verspürten, könne auch auf einen psychologischen Effekt zurückzuführen sein: Man fühlt sich schlecht, weil man glaubt, eine unbekannte Substanz injiziert bekommen zu haben.
Opfer sollen Anzeige erstatten
Dennoch warnen Experten davor, die Angriffe als Bagatelle abzutun: Auch ohne drogenartige Substanzen können die Einstiche zu Infektionen führen. Darum sei es wichtig, dass die Opfer unverzüglich Anzeige erstatteten und sich gründlich untersuchen ließen.
Andrea Piest, Fachreferentin im Berliner Drogennotdienst, kennt die Problematik aus ihrer täglichen Arbeit. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen haben neben dem "Drink Spiking", also der heimlichen Verabreichung von K.-o.-Tropfen in Getränke, auch immer häufiger mit "Needle Spiking" zu tun, wie sie gegenüber "Deutschlandfunk" berichtet. Ob im Club oder auf einem Festival – bei plötzlichem Unwohlsein solle man Freunde oder Clubpersonal sofort um Hilfe bitten, rät Piest. Und medizinischem Personal auf keinen Fall die Sachlage verschweigen.

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Auch wenn bisher häufig keine gefährlichen Substanzen nachgewiesen werden konnten, bleibt die Angst vor der Nadel real. Für Veranstalter und Behörden bedeutet das: Prävention und Aufklärung sind wichtiger denn je.
Quellen: Deutschlandfunk, RTL, Liberation, Euronews