Osterinsel Der einsamste Ort auf der Welt

3765 Kilometer ostwärts bis zur chilenischen Küste, 2250 Kilometer westwärts bis zur Insel Pitcairn - sollten die Bewohner der Osterinsel ihr Ziel einer Unabhängigkeit je erreichen, wären sie Bürger eines Zwergstaates inmitten einer Wasserwüste.

Der Reisepass weist Agterama Puhi 'Uira Ahukia als Bürger der "Republica de Rapa Nui" aus, wie die Osterinsel mit den weltberühmten Steinstatuen in der Sprache der Ureinwohner heißt. Ausgestellt ist das Dokument vom Mata Tu’U Hotu Iti, dem Obersten Rat für Gerechtigkeit. Ein Passfoto und andere eindrucksvolle Stempel schmücken den Ausweis. Allerdings würde Ahukia damit nicht einmal durch die nächste Polizeikontrolle kommen, geschweige denn eine Grenze überschreiten können. Denn der "Pass" ist selbstgemalt, die Republik Rapa Nui existiert nur in seiner Fantasie und die Osterinsel gehört wie seit 1888 zu Chile. Aber immer mehr Inselbewohner träumen von der Unabhängigkeit.

Sollten Ahukia und Gleichgesinnte ihr Ziel jemals erreichen, wären sie Bürger eines Zwergstaates mit gerade mal 3866 Einwohnern, davon nur rund 2000 von den Ureinwohnern abstammend, auf einer Fläche von 171 Quadratkilometern und damit kleiner als der Stadtstaat Bremen inmitten der immensen Wasserwüste des Pazifiks. Die Osterinsel gilt als der einsamste Ort auf der Welt, 3765 Kilometer sind es ostwärts bis zur chilenischen Küste und 2250 Kilometer westwärts bis zu der kleinen, nur von 40 Menschen bewohnten Insel Pitcairn. Fast alles außer frischem Gemüse, Fleisch und Fisch muss per Schiff und Flugzeug vom Festland herangeschafft werden.

"Wir wollen endlich Herr im eigenen Haus sein"

Dass Chile inzwischen eine gefestigte Demokratie ist und die Insel stark subventioniert, ändert nichts an dem Bestreben nach Loslösung vom Festland. "Wir gehören zu Polynesien und wollen endlich Herr im eigenen Haus sein", sagt Ahukia. "Dies hier ist alles fremd und würde nach der Unabhängigkeit sofort abgerissen", sagt der 1,90 Meter große Mann und meint damit das neue Bürgermeisteramt der einzigen Insel-Stadt Hanga Roa, in dem er wegen eines Antrages gerade Schlange steht. Wie viele Männer der Insel hat er lange schwarze Haare, die Unterarme sind mit polynesischen Tätowierungen verziert und die Gesten theatralisch. "Vorsicht, der ist nicht ganz richtig im Kopf", flüstert einem die Sekretärin des Bürgermeisters ins Ohr.

Was ihn und andere treibt, ist nicht die vernünftige Abwägung von Vor- und Nachteilen der Unabhängigkeit, sondern der Zorn über die jahrhundertlange Unterdrückung der halbversunkenen Kultur durch die spanischen Conquistadores und später die Chilenen. Die und auch andere Ausländer sollen sich nicht mehr auf der Insel niederlassen dürfen, und auch der Tourismus geht den "Separatistas" gegen den Strich. "Wir wollen nicht so viele Urlauber, nur einige ganz Reiche, die dann richtig viel bezahlen müssen", stellt sich Ahukia vor. Als Zeichen ihres Protests gegen die chilenische "Besatzung" haben die Kämpfer für die Unabhängigkeit eine weiße Fahne mit einem roten Kanu an ihren Autos befestigt.

Aber längst nicht alle Bewohner sind glühende Separatisten. "Selbstabschottung ist in der globalisierten Welt das Ende", sagt Bürgermeister Pedro Edmund Paoa. "Unabhängigkeit? Davon habe ich noch nie gehört", setzt er hinzu, und erklärt das Thema damit recht autoritär für abgeschlossen. Steuern werden auf der Insel nicht erhoben. Sein gesamtes Budget von einer Milliarde Pesos (1,5 Millionen Euro) stammt aus Chiles fünfter Region um die Hafenstadt Valparaiso, zu der die Osterinsel gehört.

Chile als Garant des Überlebens

Die etwa 23 000 Touristen pro Jahr bringen noch einmal Einnahmen von etwa drei Millionen Euro, und damit sind die Einnahmequellen der Insel auch bereits vollständig aufgezählt. Viehzucht, Fischfang sowie Obst- und Gemüseanbau reichen kaum zur Selbstversorgung. Ohne Chile würde die Inselwirtschaft sofort zusammenbrechen, warnt denn auch der Bürgermeister. Die Chilenen sind nicht gerade beliebt, aber ihr Geld wird gebraucht. Und daran wird sich so schnell auch nichts ändern.

DPA
Uwe Ronnebuger