Naturschutz Eine Klinik für Mauersegler

Bevor die Vögel in die Freiheit entlassen werden stehen Flugübungen auf dem Programm. Foto: Hannes P. Albert/dpa
Bevor die Vögel in die Freiheit entlassen werden stehen Flugübungen auf dem Programm. Foto
© Hannes P. Albert/dpa
In der Frankfurter Mauerseglerklinik dreht sich alles um die gefiederten Patienten. Die faszinierenden Flugkünstler sollen wieder fit gemacht werden für die Freiheit. Aber die Klinik steckt in Nöten.

Als Osceola in die Mauerseglerklinik gebracht wird, wiegt der kleine Vogel nur 22 Gramm und ist mehr tot als lebendig. Aber das Team der Klinik päppelt den jungen Mauersegler auf. Inzwischen macht Osceola in einem speziell ausgestatteten Raum gemeinsam mit Pfleger Lars Kühne fleißig Flugübungen, Ende des Monats soll das Tier gemeinsam mit weiteren Artgenossen auf die Kanaren gebracht und in die Freiheit entlassen werden. Es ist eine der Erfolgsgeschichten, allerdings plagen die Klinik aktuell auch große Sorgen.

"Wir sind personell und finanziell am Ende", sagt die Klinik-Chefin, Tierärztin Christiane Haupt. "Es kann sein, dass wir schließen müssen." In diesem Jahr seien mit bislang rund 1.000 Vögeln so viele gefiederte Patienten wie nie zuvor in der Klinik versorgt worden. Das Geld reiche aktuell noch für wenige Monate, sagt Haupt. Die Klinik finanziert sich unter anderem aus Zuwendungen aus den Stiftungen Pro Artenvielfalt und Hessischer Tierschutz sowie von Mitgliedsbeiträgen des Vereins "Deutsche Gesellschaft für Mauersegler" und Spenden.

Allein die Futterkosten summieren sich jährlich auf rund 50.000 Euro. Dazu kommen Personalkosten - jeder Mauersegler muss mehrmals am Tag gefüttert werden. Die sieben Angestellten der Klinik sind fast ausschließlich mit dieser Aufgabe befasst. Zwar engagieren sich auch Ehrenamtliche, aber die Versorgung der Vögel oder auch das Flugtraining sind sehr spezielle Aufgaben, die eine lange Einarbeitung und ein hohes Maß an Zuverlässigkeit voraussetzen. Dafür sei nicht jeder geeignet, sagt die Klink-Leiterin. "Der Nachwuchs liegt so gut wie brach."

Haupt ist als junge Frau über ihr privates Engagement zum Tierschutz gekommen. "Auf einer Pflegestation habe ich in die Augen eines Mauerseglers geschaut und da war eine unsterbliche Leidenschaft geboren", sagt sie. Im Alter vom 28 Jahren beginnt sie mit einem Tiermedizinstudium. Schon damals pflegt Haupt Mauersegler und hat die Boxen mit ihren Zöglingen im Vorlesungssaal dabei. "Die Vögel müssen ja regelmäßig gefüttert werden." Während ihrer Staatsexamens-Prüfung passt ein Professor auf die Patienten auf.

Haupt spezialisiert sich auf Mauersegler. So ist sie inzwischen nicht nur eine ausgewiesene Expertin für deren Pflege, sondern auch für das Schiften. Das ist eine Methode zum Einsetzen neuer Schwungfedern bei Vögeln mit Gefiederschäden. Dabei werden gespendete Federn eines verstorbenen Tieres mit der Hilfe von Carbonstäben am Flügel des Patienten eingesetzt.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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"Bei mir bekommt jeder Vogel einen Namen", erzählt Haupt. Inspirieren lässt sie sich etwa von "Game of Thrones", "Herr der Ringe" oder Indianerstämmen. Das Herz der Klinik ist das Vogelzimmer, wo in dutzenden Boxen Mauersegler sitzen, mal ist ein Rufen zu hören, mal ein Flügelschlagen. 

An mehreren Arbeitsplätzen sind ehrenamtliche Helferinnen mit Füttern beschäftigt, routiniert stecken sie mit einer Pinzette Heimchen in die kleinen Schnäbel, manche Patienten bekommen Wachsmottenlarven. Eine Box heißt "Ibiza" - dort sitzen mehrere Vögel unter einer UV-Lampe. Jeden Freitag ist eine Vogeldusche im Einsatz.

Vor 31 Jahren habe die Mauerseglerklinik mit knapp einem Dutzend Patienten ihren Betrieb aufgenommen, aktuell werden rund 165 Segler versorgt, wie Haupt berichtet. In diesem Sommer seien allein an einem Tag mal mehr als 70 Tiere gebracht worden, ergänzt ihr Mitarbeiter Kühne. Die Hitze und der Klimawandel brächen den Vögeln das Genick, warnt Haupt - und das ist ganz im Wortsinn gemeint. Denn an heißen Tagen überhitzen die Jungvögel in den Nestern unter den Dächern und stürzen sich in ihrer Not in die Tiefe, obwohl sie noch nicht fliegen können. 

Zudem werden immer mehr Nistplätze zerstört, etwa bei Sanierungen von Häusern. Auf die Vögel werde oft keine Rücksicht genommen, berichtet Haupt. "Wir hatten einen Mauersegler hier, den Garibaldi, der war komplett mit Bauschaum zugeschäumt worden." Zusätzlich verschärfe sich bei den Mauerseglern der Kampf um die Nester, die Folge sind schwere oder tödliche Verletzungen. 

Der Klimawandel mit seinen Wetterextremen bedroht den Mauersegler, warnt auch Stefan Stübing von der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz. "Es gibt mehr Starkregenereignisse, die die Vögel zwingen, ihre Brutplätze zu verlassen, was nicht alle Jungvögel überleben." Die zunehmenden Hitzephasen führten zu einem deutlichen Rückgang des Bruterfolges und damit mittel- und langfristig vermutlich zu einer Abnahme der Bestände, ergänzt der Experte. Nicht jeder Jungvogel, der sich beim Sturz aus dem überhitzten Nest verletzt, habe das Glück, in einer Auffangstation versorgt zu werden.

dpa