Privates Zugunternehmen Ärger über National Express: "Die Fahrgäste sind die Dummen"

Etwa jeder sechste Streckenkilometer in Nordrhein-Westfalens Nahverkehr entfällt auf das private Zugunternehmen National Express
Etwa jeder sechste Streckenkilometer in Nordrhein-Westfalens Nahverkehr entfällt auf das private Zugunternehmen National Express. (Archivbild) Foto
© Henning Kaiser/dpa
"Zug fällt aus" - so etwas liest man äußerst ungern auf der Anzeigetafel, wenn man zum Bahnhof kommt. Am vergangenen Wochenende war das in Düsseldorf oder Dortmund oft zu lesen. Droht das erneut?

Im Streit über den Weiterbetrieb zentraler Regionalbahn-Strecken in NRW ist noch keine Einigung in Sicht - die Gefahr weiterer Zugausfälle ist damit nicht gebannt. Der Betreiber National Express hatte am vergangenen Wochenende den Betrieb der wichtigen Linie RE4 eingestellt, was zu Frust und Kritik geführt hatte. Wie geht es weiter? Ein kontroverses Thema im Überblick. 

Worum geht es genau? 

Das private Zugunternehmen National Express (NX) möchte für seine laufenden Verträge deutlich mehr Geld haben. Die Firma betreibt in NRW sieben Linien, deren Verträge im Zeitraum 2030 bis 2033 enden. Vom Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) heißt es, dass NX mitgeteilt habe, dass es "bei der Erbringung von Verkehrsleistungen vor erheblichen wirtschaftlichen Herausforderungen steht" und daher "Ansprüche auf Anpassungen in Verkehrsverträgen geltend" mache. Das Unternehmen selbst ließ mehrere Anfragen unbeantwortet.

Die Aufgabenträger sind zwar zu einem gewissen Entgegenkommen bereit, doch die Vertragsparteien liegen in Gesprächen "meilenweit auseinander", wie der "Kölner Stadt-Anzeiger" schreibt. NX gehört dem britischen Unternehmen Mobico, das unter Druck steht: An der Börse verlor eine Mobico-Aktie in drei Jahren mehr als 80 Prozent an Wert.

Am vergangenen Samstag und Sonntag ließ National Express die Fahrten der von Aachen über Düsseldorf nach Dortmund fahrenden Linie RE4 ausfallen, ohne dies öffentlich zu begründen. Laut Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) gab eskeine zwingenden betrieblichen Gründe. "Vertragsverhandlungen auf dem Rücken der Fahrgäste sind aus Sicht der Landesregierung nicht akzeptabel." Auch der VRR war verärgert über die "eigenmächtige und unabgestimmte Leistungsreduzierung". NX versuche, Druck auszuüben. Nach VRR-Angaben wurde National Express bereits im November 2024 und im Juli 2025 wegen anderer Verfehlungen abgemahnt.

Wie bekommen Bahnreisende die Probleme zu spüren? 

Tausende Fußballfans, die am vergangenen Samstag mit der Bahn zur Bundesligapartie zwischen Borussia Dortmund und dem 1. FC Köln fahren wollten, hatten ein Problem: Nicht nur der RE4 fiel aus, sondern auch der RE1, letzterer wegen einer Baustelle - also zwei Zugverbindungen, in denen üblicherweise viele Fans sitzen. Das war kein Einzelfall: Laut einem Branchenbericht lag die Zahl der ausgefallenen Zugkilometer in NRW 2022 bei 11,9 Millionen, 2023 waren es 16,3 Millionen und 2024 20,6 Millionen. Andere Züge, die immerhin fuhren, waren verspätet: Die Pünktlichkeitsquote sank von 2020 bis 2024 von 84,3 auf 66,7 Prozent.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?

Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.

Wie ist der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) organisiert? 

Es gibt drei regionale Aufgabenträger in NRW: go.Rheinland, Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) und den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR). Sie vergeben langjährige Aufträge an Verkehrsunternehmen, die Linien betreiben. Das Geld hierfür kommt vom Bund und aus den Ticketverkäufen. Etwa 50 Prozent der gefahrenen Zugkilometer im Schienenpersonennahverkehr in NRW entfielen im vergangenen Jahr auf DB Regio, rund 17 Prozent auf National Express, 13 Prozent auf die Eurobahn und 9 Prozent auf Transdev. 

Was ist das Problem im NRW-Nahverkehr?

Es geht ums Geld und um die Folgen von Baustellen. In den vergangenen Jahren hat manches Verkehrsunternehmen unter steigenden Kosten und Personalproblemen geächzt. Die Verträge, die man vor langer Zeit mit knapp kalkulierten Angeboten eingeholt hat, wurden zu Verlustbringern. Baustellen der Bahn-Netzgesellschaft erschwerten das Geschäft, sie führten zu Folgekosten - also Kosten für Schienenersatzverkehr und Strafzahlungen wegen Zugausfällen oder nicht erreichter Pünktlichkeitsvorgaben. 

Das Unternehmen Abellio Rail Gmbh geriet 2021 in finanzielle Schieflage und verschwand 2022 vom Markt. Man könne für den Großteil der Mehrkosten doch gar nichts, monierte das Management damals. Das Land NRW gestaltete die Rahmenbedingungen zwar neu, wirklich gelöst wurden die Probleme nach Meinung von Branchenkennern damit aber nicht.

Die für Ostwestfalen-Lippe wichtige Eurobahn rutschte ebenfalls tief in die roten Zahlen. Besonders Personalprobleme belasteten die Firma - auf einem schier leergefegten Arbeitsmarkt fanden sich zu wenige Triebwerksführer. Der Zweckverband NWL musste einspringen und wurde Gesellschafter. Die Firma dünnte ihr Angebot aus, auf manchen Linien schaffte sie es zwischenzeitlich nur noch auf 60 Prozent der eigentlich geplanten Zugkilometer. Inzwischen läuft es wieder besser, es konnte mehr Personal gewonnen werden und das Angebot liegt nur noch vier bis fünf Prozent unter Plan - im Dezember soll wieder alles nach Plan laufen.

Wird National Express erneut Züge ausfallen lassen? 

Diese zentrale Frage kann eigentlich nur die Firma selbst beantworten. Sie tut es aber nicht - und geht medial derzeit in Deckung. Ein Zeichen der Entspannung kommt aber vom VRR: Der Verbund teilt, NX habe ihm inzwischen versichert, auf weitere "Leistungseinbehalte" zu verzichten - es soll also keine absichtlichen Ausfälle mehr geben. Die zwischenzeitlich auf Eis gelegten Gespräche sollen nun fortgeführt werden.

Was fordert der Fahrgastverband?

Detlef Neuß vom Fahrgast-Sprachrohr Pro Bahn fordert sogenannte Pönalen, National Express soll also Geldstrafen zahlen. "Und sollte so etwas noch mal passieren, sollten die Aufgabenträger die Reißleine ziehen und die Verträge kündigen und die Linien in andere Hände geben." Neuß merkt an, dass bei den Auftragsvergaben generell etwas falsch laufe: "Es geht immer nur um "billig, billig, billig" - und später bekommen Firmen Probleme, weil sie zu wenig Geld bekommen." Die Aufgabenträger sollten stärker prüfen, ob die Erfüllung der Verträge mit dem Geld überhaupt möglich ist, sagt Neuß. Sollte sich nichts ändern, würden auch künftig Züge ausfallen. "Die Fahrgäste sind die Dummen."

dpa