Jetzt mal Tacheles! Warum Neujahrsvorsätze etwas Tragisches an sich haben

Mehr Sport, weniger rauchen, gesünder ernähren: Viele Menschen haben Neujahrsvorsätze. Doch wie sinnvoll sind die eigentlich? Zwei stern-Redakteure streiten.
Anstoßen auf Neujahrsvorsätze
Ein Hoch auf die Neujahrsvorsätze – oder?
© SeventyFour / Getty Images

Eugen Epp: 2026 steht vor der Tür! Was hast du dir für das nächste Jahr vorgenommen, Jacqueline?

Jacqueline Haddadian: Tatsächlich gar nichts. Neujahrsvorsätze finde ich überholt und unnötig.

Epp: Das sehe ich anders. Neujahrsvorsätze sind eine Gelegenheit, an sich zu arbeiten und sinnvolle Veränderungen vorzunehmen. 

Haddadian: Eugen, jetzt mal Tacheles! Diese guten Vorsätze haben doch etwas Tragisches. Jedes Jahr will man am 1. Januar sein Leben umkrempeln, ganz nach dem Motto "New year, new me". Dann verschwindet der Alkohol in der Abstellkammer, die Sportschuhe werden entstaubt und man steckt Geld in Fitnessknebelverträge. Ein paar Wochen später ist dann eh wieder alles beim Alten.

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Neujahrsvorsätze: Chance oder Unsinn?

Epp: Das Problem kennt wohl jeder, ich natürlich auch. Viele Menschen haben tatsächlich aufgehört, sich Dinge vorzunehmen. Das ist eigentlich schade. Denn es zu versuchen, ist immer noch besser, als von vornherein aufzugeben und sich mit dem Status quo abzufinden.

Haddadian: Aber was ist so schlecht an dem Status quo? Muss man denn dauerhaft mit sich und dem eigenen Leben unzufrieden sein? Muss man sich unentwegt verbessern und optimieren? Das kann niemanden glücklich machen und führt stattdessen zu Frust oder sogar Selbsthass.

Epp: Es geht nicht um Selbstoptimierung oder Perfektion. Nicht darum, nie wieder Schokolade essen zu dürfen oder jeden Tag ins Fitnessstudio zu gehen. Wichtiger ist, einen grundsätzlichen Lebensstil zu entwickeln, der aber auch Ausnahmen erlaubt.

Haddadian: Das klappt so gut wie nie. Eine amerikanische Studie hat nachgewiesen, dass ein Viertel der Personen schon nach einer Woche ihre Neujahrsvorsätze über Bord wirft. Nach einem halben Jahr hält nicht einmal mehr die Hälfte an ihrem Vorhaben fest. 

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Epp: Viele gehen die guten Vorsätze auch einfach falsch an: Sie stecken sich große Ziele, wollen 20 Kilo abnehmen oder jeden Tag Sport machen. Das ist gar nicht nötig und eigentlich sogar kontraproduktiv.

Sport treiben ist ein beliebter Neujahrsvorsatz
Mehr Sport zu treiben ist einer der beliebtesten Vorsätze der Deutschen
© benis arapovic / DPA

Neujahr als beliebter Anlass zur Selbstreflexion

Haddadian: Sag ich doch. Nach großen Vorsätzen folgt meist das große Scheitern.

Epp: Schlauer wäre es, sich kleine Ziele zu setzen, dafür aber einen genauen Plan zu überlegen, wie man diese erreichen will. Also zum Beispiel: Welche Lebensmittel möchte ich verstärkt essen, und wie kann ich das besser in meinen Alltag einbauen? Der Rest kommt dann von allein.

Haddadian: Langfristig klappt das trotzdem nicht. Beispiel "Dry January": An Silvester stellt man sich noch ordentlich einen rein, wenige Stunden später will man dem Alkohol zumindest für einen Monat abschwören? Manche überstehen nicht mal den Neujahrsbrunch ohne das obligatorische Gläschen Sekt. Und selbst wenn man es schaffen sollte, den Januar über auf Alkohol zu verzichten, hat man die restlichen elf Monate des Jahres doch wieder einen ähnlichen Konsum wie vor dem vermeintlich guten Vorsatz.

Epp: Aber darum geht es doch gar nicht! Sondern darum, einen gesunden Lebensstil und Routinen zu entwickeln. Das geht ja nicht von heute auf morgen, sondern dauert meist so zwei bis drei Monate. Am Anfang kann es natürlich hart sein, aber irgendwann setzt das neue Normal ein. Dann denkt man im Supermarkt gar nicht mehr darüber nach, noch bei den Süßigkeiten anzuhalten. Oder man merkt, dass man Alkohol eigentlich gar nicht nötig hat.

Haddadian: Aber wofür brauche ich dann den Neujahrsvorsatz? Wenn ich jetzt gerade den Drang habe, etwas zu ändern, muss ich doch nicht auf das neue Jahr warten. Dann starte ich doch in dem Augenblick, wo die Motivation noch am höchsten ist.

Epp: Stimmt, den 1. Januar braucht man dafür nicht. Aber der Jahreswechsel ist eine Marke, die wir brauchen, um zu reflektieren: Was läuft gut, was nicht so gut, was möchte ich verändern? Oder grundsätzlich: Wie sollte mein Leben eigentlich aussehen? Theoretisch kann man sich diese Fragen jeden Tag stellen und dann dementsprechend handeln. Praktisch nehmen wir uns dafür so gut wie nie Zeit.

Haddadian: Und welche Vorsätze fasst du für das neue Jahr?

Epp: Mal wieder: weniger Zucker, weniger Handy. Mal sehen, wie lange ich diesmal durchhalte ...

Haddadian: AHA!

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