Allein in diesem Jahr sind 103 todkranke Deutsche zu einer letzten Reise in die Schweiz aufgebrochen. Ihr Ziel war Zürich, Gertrudstraße 84, vierter Stock. Eine kleine, karge Wohnung eineinhalb Zimmer, die Sterbewohnung von Dignitas, einer Schweizer Sterbehilfeorganisation.
stern, 48/2006
Im neuen stern: Zwölf schwer kranke Menschen wollen in Würde sterben und müssen dafür ins Ausland fahren. Sie fragen: Warum wird Sterbehilfe in Deutschland nicht erlaubt?
Ab Donnerstag am Kiosk
Sie legen sich auf ein Bett, trinken ein Glas Wasser, darin aufgelöst ein weißes Pulver. 15 Gramm Pentobarbital-Natrium, ein hochwirksames Mittel, das den sicheren Tod bringt. Nach wenigen Minuten schlafen sie ein, und dann gehen sie. Die meisten gehen mit dem Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, sie schämen sich. Viele haben fehlgeschlagene Suizidversuche hinter sich. Sie nehmen die anstrengende Reise in die Schweiz auf sich, weil man ihnen in Deutschland diesen Weg verbietet.
In Deutschland liegt Sterbehilfe in einer rechtlichen Grauzone. Sie ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Und obwohl auch in Deutschland die Beihilfe zum Suizid eigentlich straflos ist, muss der Helfer fürchten, wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt und verurteilt zu werden. Darüber hinaus ist es faktisch unmöglich, ein Mittel zu beschaffen, das einen schmerzfreien und würdevollen Tod herbeiführt.
Reportage zu dem Thema
2006 wurde zum Thema Sterbehilfe der renomierte Egon Erwin Kisch-Preis an die Reportage "Ich will nur fröhliche Musik" verliehen.
Aus diesem Grund sind viele Deutsche Mitglied der Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas geworden. Dort müssen die Menschen, die sie auf ihrem letzten Weg begleiten, keine Strafverfolgung fürchten und das Mittel wird gegen ein von einem Arzt ausgestellten Rezept in der Apotheke ausgehändigt. Von den mehr als 6200 Mitgliedern von Dignitas sind 2685 Deutsche. Diese Menschen fürchten einen Tod ohne Würde, fürchten sich, ausgeliefert zu sein und nicht mehr über sich bestimmen zu können.
Die einzige Möglichkeit für Deutsche, im Ausland einen begleiteten Suizid zu begehen, ist die Schweiz. Zwar hat Holland als erstes europäisches Land am 1. April 2002 ein Sterbehilfegesetz eingeführt, das sogar über das Schweizer Freitodmodell hinausgeht, doch Deutschen ist dieser Weg versperrt. Er gilt nur für Holländer, Deutsche finden nur Hilfe in der Schweiz.
Auch dort ist diese Praxis nicht unumstritten, es wird von Sterbetourismus geredet und viele wollen, dass nur noch Schweizer die Dienste von Dignitas in Anspruch nehmen dürfen. Seit Gründung von Dignitas im Jahre 1998 sind 378 Deutsche in Zürich gestorben. Im November 2005 hat Dignitas eine deutsche Niederlassung in Hannover eröffnet. Dort haben sich in einem Jahr 934 Deutsche bei Dignitas angemeldet. Zwölf Deutsche haben sich nach langem Nachdenken dazu entschlossen, im stern ihre Geschichte zu erzählen, sich zu zeigen, ihren Namen offen zu nennen. Sie wollen, dass über Sterbehilfe offen geredet wird. Es sind bewegende Geschichten über Leben und Tod über Krankheit und Angst vor einem Sterben ohne Würde.

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