Kasim Edebali, nur noch wenige Tage bis zum Super Bowl. Wo werden Sie das Spiel der Spiele gucken?
Wir sind mit den Jungs von Football Bromance (ein Podcast, Anm. d. Red.) natürlich in New Orleans. Patrick Esume und Björn Werner werden im Stadion sein, um dort für RTL zu moderieren. Ich mache auf entspannt und gucke im Haus, das wir gemietet haben, zusammen mit den anderen.
Sie haben mehrere Jahre für die New Orleans Saints Football gespielt, die Stadt ist sowas wie Ihre zweite Heimat. Wie footballverrückt geht es dort wirklich zu?
Es gibt Städte, die haben ein Sportteam, aber lieben das nicht. Und dann gibt es Städte, da ist das wie Symbiose. So eine Stadt ist New Orleans. New Orleans ohne Football, ohne die Saints, das geht gar nicht. Man hat das 2005 gemerkt, als die ganze Gegend durch Hurricane Katrina geflutet und zerstört wurde – wie sich die Menschen damals an Football geklammert, wie sie sich daran aufgerichtet haben.
"New Orleans ohne Football, ohne die Saints, das geht gar nicht"
Konnte man sich als Spieler in New Orleans überhaupt frei bewegen?
Es ist superfamiliär. Egal, in welchen Laden man ging, es war jedes Mal, als wäre man bei seiner Tante zu Besuch. Die Leute in New Orleans fragen dich nicht nach einem Selfie oder Autogramm, die sagen einfach mit ihrer Südstaatenlässigkeit: "Hey, how you doin', baby? Setz dich hin, ich mach dir was zu essen."
Zugleich sind NFL-Profis oft Nomaden, die von einem Verein zum nächsten ziehen, gekündigt werden, getraded zu einem anderen Franchise. Eine NFL-Spielerkarriere dauert im Schnitt 3,3 Jahre. Wie will man da echte Verbundenheit aufbauen?
Indem man die Wochen, Monate oder Jahre, die man bei einem Club hat, genießt, sich voll reinwirft, alles dafür tut. Jeder Spieler, der es in einen finalen Kader schafft, weiß, dass dafür Hunderte und Tausende andere Spieler leer ausgegangen sind. Es gibt so viele arbeits- und vertragslose Spieler in den USA, über die reden wir nur selten. Als Spieler mit Vertrag bist du es diesen Spielern und genauso dir, deinem Team und der Stadt schuldig, dich zu zerreißen. Und wenn dann die Teams ihre Community-Service-Events organisieren, in der Regel findet das jeden Montag statt, kommt man auch mit der Stadt zusammen, mit den Menschen. Dabei entstehen emotionale Verbindungen. Man geht raus, engagiert sich – nicht, weil das gute PR ist, sondern aus echter Nähe. Und da ist es völlig egal, ob Kameras dabei sind. Man gibt der Stadt etwas zurück.
Sie selbst wurden auch oft entlassen, mussten sich immer wieder neu anbieten. Nie Gefahr gelaufen, dabei abzustumpfen oder zu verzweifeln?
Als vertragsloser Spieler ist man bei den Tryouts, also den Probetrainings, immer als Letzter an der Reihe. Aber ich wusste: Wenn ich meine Chance kriege, werde ich sie nutzen. Ich bin stolz auf die Karriere, die ich in der NFL gemacht habe. Klar geht es auch um Geld. Um sehr viel Geld sogar. Mir haben ältere Spieler früh klargemacht, dass man mit dem ersten Vertrag nicht ausgesorgt hat, sondern einen zweiten braucht, um sich finanziell abzusichern.

Gibt es einen Ort in New Orleans, den Sie besonders ins Herz geschlossen haben?
Wir sind damals immer mit allen Spielern der Defensive Line, also der Verteidigung, auf ein Amphibienboot gegangen und durch die Sümpfe Louisianas gerauscht. Und jeden Donnerstag stand ein gemeinsames Essen an, immer in ein neues Restaurant. Wir haben uns die City auch über das Essen erschlossen. Wer durch New Orleans läuft, entdeckt an jeder Ecke Neues. Man denkt immerzu: "Verdammt, das will ich probieren. Und das auch."
New Orleans hält den Rekord als Austragungsort der meisten Endspiele der NFL. Der Caesars Superdome, in dem am Sonntag der Super Bowl stattfindet, ist ein Tempel. Was kann dieses Stadion, wenn man es entfesselt?
Wenn die Fans on fire sind, ist der Dome perfekt. Und dann sticht die Atmosphäre, die sich da hochschaukelt, jedes andere Stadion in den USA aus. Die Größe ist ideal, die Konstruktion fantastisch. Wegen der Überdachung geht die Energie nie verloren. Das ist wie in einem Dampfkochtopf. Ein Play reicht, und die Bestie erwacht und brüllt.
Erinnern Sie ein solches Play aus Ihren Jahren bei den Saints?
Ich hatte einmal einen Sack gegen Matt Ryan, den damaligen Star-Quarterback der Atlanta Falcons. Das war ein Erweckungserlebnis. Die Energie, die freigesetzt wurde, blieb noch für eine Viertelstunde im Stadion. Im nächsten Spielzug haben wir auch noch einen Punt geblockt, irre! Alles hat pulsiert.
Nun ist New Orleans seit der Neujahrsnacht aber auch eine verwundete Stadt, der Anschlag wirkt nach – und nährt Ängste, sowas könnte beim Super Bowl ebenfalls passieren. Müssen sich Fans auf Euphorie unter Vorbehalt einstellen, auf Party mit permanentem Schulterblick?
Es gibt die Statistik, dass die Kriminalitätsrate in New Orleans signifikant höher liegt, wenn die Saints nicht gut spielen. Das schlägt den Leuten auf die Seele. Aber das hat mit dem Super Bowl nichts zu tun. Wenn ich eines über die NFL weiß, dann, dass die Liga Sicherheit ernst nimmt und Sicherheit kann. Da wird alles nach Plan laufen.
"Wir sehen deutlich, dass eine neue Ära im Football angebrochen ist"
Mit dem Super Bowl geht die NFL-Saison 2024 zu Ende. War es eine gute?
Wir sehen ganz deutlich, dass eine neue Ära im Football angebrochen ist. Vor fünf, sechs Jahren hatten wir noch die Bradys, Mannings, Roethlisbergers, Rivers. Nun hat eine neue Garde übernommen. Patrick Mahomes, Lamar Jackson und Josh Allen prägen die Liga schon länger, junge Leute wie C.J. Stroud, Jayden Daniels und Bo Nix kommen nach. Und mit denen hat sich das Spiel verändert. Es ist noch schneller, noch athletischer als früher. Ich oder auch Björn Werner, wir sind damals eine 4.7 beim Sprint gelaufen, und das galt als schnell für einen Defensive End. Heute haben wir Defensive Ends, die sind so schnell wie Wide Receiver. Das transformiert alles.
Ein Team oder ein Spieler, der Sie überrascht hat?
Die Minnesota Vikings, jedenfalls in der Regular Season. Und ein Baker Mayfield als Quarterback bei den Tampa Bay Buccaneers. Den hatten alle schon abgeschrieben, und man möge mir glauben: Damit kenne ich mich aus, das habe ich selbst oft genug erlebt. Es muss irre viel zusammenkommen, damit du als Spieler in der NFL Erfolg hast – du brauchst die richtigen Umstände, Trainer, Förderer, Glück auch. Und ganz viele Spieler haben das nicht, dabei bringen sie das Talent mit. Umso mehr freut es mich, wenn jemand wie Baker, der schon verlacht wurde, eine zweite oder dritte Chance kriegt und richtig abliefert.

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Gab es taktische Trends, die sich in dieser Season herauskristallisiert haben?
Das Quick Passing Game ist überall. Vor 20 Jahren war noch die Devise: Wir wollen so viel Fleisch wie möglich auf dem Feld haben und dann schieben wir uns in die Endzone. Heute heißt es: Ball so schnell wie möglich verteilen und über die Athletik der einzelnen Spieler gewinnen. Manchmal werde ich zum Nostalgiker und freue mich, wenn ich dann doch eine lauflastige Offense sehe wie die der Ravens, die mit Derrick Henry Sachen machen, die andere eben nicht machen.
Die Bilanz der Deutschen in der NFL ist nicht mehr ganz so rosig wie noch vor ein paar Jahren. Es gibt mit Amon-Ra St. Brown den Superstar und absoluten Fixpunkt bei den Detroit Lions. Aber viele andere sind aus den Kadern geflogen, vertraglos, verletzt.
Ich bin davon überzeugt, dass da wieder mehr nachkommen wird. Die Ups und Downs, die wir sehen, gehören dazu. Aber wir haben so viele Talente am College wie nie zuvor, wir haben die NFL Academy, wo deutsche Talente mit Potenzial warten, wir haben das International Pathway Program, das Spielern den Weg ebnet. Das ist eine richtige Welle, die da reinschwappt in den Sport. Und am Ende des Tages, das gehört zur Wahrheit dazu, geht es darum, die Chance, wenn sie sich bietet, zu nutzen – und dafür müssen die Umstände passen. Man schaue sich mal David Bada (deutscher Defensive Tackle, zuletzt bei den Detroit Lions) an: Totaler Kaderkandidat von den Anlagen her, bei jedem Team, aber jedes Mal, wenn er kurz vor dem Sprung in den Kader war, hat er sich verletzt. Sowas kann man nicht steuern.
Bitte einmal zum Stand der Euphorie in Deutschland: Es gab wieder ein Munich Game in dieser Saison, NFL-Spiele in Berlin wurden angekündigt. Sind Markt und Begeisterung langsam ausgereizt – oder zeigt die Kurve noch nach oben?
Ich habe viele Bekannte, die diesem Sport vorher fremd waren und mich jetzt fragen: "Football, ja? Okay, ich schalte mal rein." Und dann bleiben sie hängen, weil das Spiel sie packt. Weil die Begeisterung über das Game hinausreicht. Du hast die Show, das Tailgating, die Partys. Ich weiß noch, wie ich Kommunikationswissenschaften an der Uni in den USA studiert habe – da haben wir am Montag nach dem Super Bowl anderthalb Stunden alle Werbespots aus Medienperspektive analysiert, auf Rhetorik, Schnitt, popkulturelle Referenzen, politische Aufladung. Auch das gehört zum Gesamterlebnis Super Bowl. Und auch deshalb werden am Sonntag wieder Millionen Menschen einschalten.