Versammlungsort Zwischen Engeln und Nackten

Zum Konklave versammeln sich die Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle. Das Oberhaupt der Katholiken wird zwischen den Bildern "vieler nackter Körper" gewählt, die zu Lebzeiten ihres Schöpfers scharf kritisiert wurden.

Gerade einmal 33 Jahre ist der Künstler alt, als er mit seinen Farbtöpfen die päpstliche Hauskapelle betritt. Er baut sein Gerüst auf, klettert in die Kuppel und greift zum Pinsel. Über ihm die Leere, nur eine Idee im Kopf: "Die Erschaffung Adams", die biblische Genesis. Michelangelo Buonarroti (1475-1564) muss unter unsäglichen Mühen auf dem Rücken liegend arbeiten, vier Jahre lang, dann ist die Ausmalung der Sixtinischen Kapelle fertig. Halb blind wird er dabei, zu oft tropfte ihm Farbe in die Augen.

Das Werk Michelangelos, das zwischen 1508 und 1512 entstand, gilt als das größte Kunstwerk der Renaissance. Umhüllt von Engeln und Sibyllen, den schönen Prophetinnen, und unter dem wachsamen Blick Gottes werden die Kardinäle in der kommenden Woche den neuen Papst wählen. Das war nicht immer so: Erst seit dem Ende des Kirchenstaates 1870 findet das Konklave in der Sixtinischen Kapelle statt, vorher wurde es im Quirinalspalast abgehalten, heute Sitz des italienischen Staatspräsidenten.

"Sprechende Glaubenswahrheiten"

Nach der Restaurierung des "Jüngsten Gerichts" im Jahr 1994, das Michelangelo in einem zweiten Schritt (1535-1541) an der Altarwand der Kapelle gemalt hatte, geriet selbst Papst Johannes Paul II. ins Schwärmen: "Die Fresken, die wir hier sehen, führen uns in die Welt der Inhalte der Offenbarung ein. Aus allen Einzelheiten sprechen hier unsere Glaubenswahrheiten zu uns", sagte er damals in einer Predigt. Tatsächlich ist es wohl keinem vor und nach Michelangelo gelungen, Szenen aus der Schöpfungsgeschichte so einfühlsam, farbgewaltig und plastisch darzustellen.

Die Kapelle wurde zwischen 1477 und 1482 auf Wunsch von Papst Sixtus IV. gebaut, auf den auch der Name "Sixtinische Kapelle" zurückgeht. Sie wurde zunächst mit einem schlichten Gemälde von Pier Matteo D'Amelia dekoriert, bevor Papst Julius II. schließlich den jungen Michelangelo mit einer opulenteren Ausmalung des Deckengewölbes beauftragte. Dieser schuf in mühevoller Kleinarbeit 391 atemberaubende Gestalten im Altarraum, neun Bilder mit Szenen der Schöpfungsgeschichte und prächtige nackte Figuren mit aus Papstsymbolen gewobenen Girlanden.

Einige Figuren wurden nachträglich bekleidet

Gerade diese "Ignudi" (Nackten) stießen schon zu Lebzeiten des Künstlers auf herbe Kritik. So lamentierte Zeremonienmeister Biagio da Cesena, dass "die vielen nackten Körper, die ihre Scham zur Schau stellen, für einen so ehrwürdigen Ort wie die Papstkapelle unschicklich und eher für eine Badestube oder ein Wirtshaus geeignet" seien.

Prompt wurden ab 1564 einige nackte Figuren mit Höschen und Stoffstücken versehen. Erst bei der kürzlichen Restaurierung kam die Nacktheit der Gestalten wieder ans Tageslicht - ebenso wie die überwältigende Farbenpracht der Fresken, die seit Jahrhunderten unter einer Ruß- und Staubschicht verborgen lag.

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Carola Frentzen/DPA