Im Land von Goethe und Schiller sind laut "Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung" mehr als vier Millionen Erwachsene trotz Schulbesuchs sogenannte funktionale Analphabeten. "Dabei handelt es sich um Erwachsene, die trotz Erfüllung der Schulpflicht nur so gut lesen und schreiben können wie Kinder in der ersten oder zweiten Klasse", erklärte der Geschäftsführer des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung, Peter Hubertus, anlässlich des Weltbildungstages in Berlin.
Zehn Prozent eines Jahrgangs ohne Hauptschulabschluss
Hubertus wies darauf hin, dass jedes Jahr mehr als 80.000 Jugendliche die Schulen ohne Hauptschulabschluss verlassen. Das sind etwa zehn Prozent eines Schuljahrgangs. Viele hätten nicht die Mindestqualifikation, um erfolgreich eine Berufsbildung absolvieren zu können. Besonders unzureichende Kenntnisse im Lesen und Schreiben verminderten die Chancen am Arbeitsmarkt.
Analphabetismus weltweit
Weltweit können nach Angaben des Kinderhilfswerks UNICEF rund 780 Millionen Menschen weder lesen noch schreiben. Mehr als zwei Drittel von ihnen sind Frauen. Insgesamt haben nach UNICEF-Schätzungen rund 100 Millionen Kinder im Grundschulalter keinen Zugang zu Bildung. Die Vereinten Nationen hatten 2003 eine "Weltdekade der Alphabetisierung" ausgerufen. Ziel ist es, die Analphabetenrate bis 2012 zu halbieren. Derzeit liege sie bei 18 Prozent, 1970 lag sie noch bei 37 Prozent (Bild: UNESCO).
Für die Betroffenen verringerten sich damit nicht nur die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch die Lebensqualität und die gesellschaftliche Integration, warnte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU). Seit Ende vergangenen Jahres werde deshalb die Alphabetisierung und Grundbildung von Erwachsenen besonders vom Ministerium gefördert.
"Prävention und Bekämpfung des Analphabetismus sowie die Sicherung einer solide Grundbildung für alle gehören zu den wichtigsten Aufgaben unseres Bildungssystems", sagte Schavan. Erst Grundbildung ermögliche jegliche weitere Bildung und lebenslanges Lernen, betonte sie. Wichtig zur Vorbeugung sei vor allem das Vorlesen von Büchern.
Die Bundesregierung fördert verschiedene Forschungsprojekte zum Analphabetismus fünf Jahre lang mit insgesamt 30 Millionen Euro. Für den Bundesverband Alphabetisierung ist die reine Forschungsförderung lobenswert, aber nicht ausreichend. Er fordert mehr bezahlbare Grundbildungskurse als praktische Maßnahme. Dies ist jedoch Sache der Bundesländer.
Nur 20.000 Analphabeten belegen Bildungskurse
Analphabetismus ist nach Expertenmeinung meist kein intellektuelles, sondern ein soziales Problem. In Deutschland kommen jüngere Analphabeten häufig aus schwierigen und belasteten Familien. Ursachen bei den Älteren sind oft mangelnde Bildungschancen in der Nachkriegszeit oder auch unerkannte Legasthenie-Fälle.
Von den rund vier Millionen Analphabeten nehmen laut Alphabetisierungsverband derzeit bundesweit nur rund 20.000 Menschen an speziellen Kursen teil, die vor allem die Volkshochschulen anbieten. Der Alphabetisierungsverband berät anonym mit dem "Alfa-Telefon" unter der Nummer 0251 - 53 33 44.