Armtransplantation Der Mann mit zwei fremden Armen

Von Brigitte Zander, München
Karl Merk ist der einzige Mensch mit zwei fremden Armen. Gut zwei Monate nach der weltweit ersten Armtransplantation präsentierte er sich mit seinen Ärzten in München stolz der Öffentlichkeit - und berichtete über die ersten fühlbaren Erfolge der Operation.

"Ich bedanke mich bei dem Spender und seiner Familie, bei meinen Ärzten und allen, die mir geholfen haben" – Karl Merk blickt zufrieden in die vielen Kameras. Der Presserummel verunsichert den derzeit berühmtesten Patienten Deutschlands bei seinem ersten öffentlichen Auftritt kein bisschen. "Wenn man sechs Jahre ohne Arme gelebt hat, macht einem nichts mehr was aus", sagt der 54-Jährige und versichert, dass es ihm "täglich besser geht".

Der Bauer aus dem Kreis Memmingen in Bayern ist ein gedrungener schwarzhaariger Mann mit kleinem Oberlippenbart und dunklen Augen. Die neuen Arme ruhen in einem Tragegestell, das wie ein Wasserträgerjoch über seine Schultern hängt. Das schwarze Hemd lässt die Oberarme mit den dicken Narben frei. Die eigenen Armstummel sind von der Sonne gebräunt, die Haut der fremden Gliedmaßen darunter ist bleich.

Ein Kribbeln in den neuen Armen

An den Ansatzstellen unterhalb der Narben "hat der Patient erste Empfindungen", sagt Christoph Höhnke, Leiter des Transplantationsteams. Merk selbst spricht von einem "Kribbeln", das die beteiligten Mediziner am Münchner Universitäts-Klinikum rechts der Isar als erstes positives Zeichen der Nervenregeneration deuten. "Bisher wurden unseren kühnsten Erwartungen erfüllt", so Höhnke zehn Wochen nach der Operation, die - wenn sie langfristig zum Erfolg führt - in die Medizin-Geschichte eingeht. Mit seinem spektakulären Fall könnte die internationale Transplantationschirurgie ein neues Kapitel aufschlagen.

Die Nerven müssen von den eigenen Armstümpfen in die neuen Ersatzglieder hineinwachsen. Nach wissenschaftlicher Erkenntnis sprießen Nerven täglich etwa einen Millimeter in die leeren Nervenstränge der 60 Zentimeter langen Fremdarme. Rechnerisch dauert es also 600 Tage, bis der Allgäuer Milchbauer wieder Gefühl in den Fingern spürt und der Tastsinn erwacht. Das Ziel der ehrgeizigen Operateure heißt: "Herr Merk soll mit den Händen wieder ein Glas Milch zum Mund führen können". Sechs Jahre lang war ihm das unmöglich.

Unfall mit tragischen Folgen

Die Katastrophe passierte am 23. September 2002. Beim Reparieren seiner Mais-Häckselmaschine rutschte der Bauer aus und geriet mit dem linken Arm in die laufende Maschine. Reflexartig versuchte er, mit der rechten Hand den linken Arm herauszuziehen. Das Ergebnis: Die rotierenden Messer fraßen sich in beide Arme und rissen sie fast bis zur Achselhöhle ab. Prothesen waren für ihn keine Lösung: An den kärglichen Armstummeln ließen sie sich nur schlecht befestigen. Der schwere mechanische Armersatz verursachte "ewige Schmerzen", erzählt er. Und trotz verbissenen Dauertrainings schaffte es der Verkrüppelte kaum, damit eine Tasse zu halten, geschweige denn, seine Zähne zu putzen. Für ihn war es schon ein mühsamer Sieg, als er ein Telefon und die Fernbedienung für Radio und TV mit den Füßen bedienen konnte.

Das Geschick, mit der es Contergankindern gelingt, die Zehen statt der Finger einzusetzen, würde er nie aufbringen können, das war dem gestandenen Bauern schnell klar: "Ich hätte mich nie alleine anziehen, rasieren, oder zur Toilette gehen können". Merk fahndete unentwegt nach einer Lösung. Die war gefunden, als er vor gut einem Jahr den Chirurgen Professor Edgar Biemer in einer TV-Talk-Show erlebte. Er bewarb sich bei ihm als potenzieller Arm-Empfänger.

"Die Zeit war reif"

"Der Mann kam gerade zur rechten Zeit", sagt der 67-jährige Biemer. Er war damals noch Chef der Abteilung für Plastische und Wiederherstellungschirurgie am Klinikum rechts der Isar und arbeitete auch führend an der Arm-Transplantation mit, ist aber inzwischen emeritiert. Seit 2000 arbeitete Biemer in der Klinik für diesen gewaltigen Fortschritt in der Transplantationschirurgie: die Verpflanzung kompletter Arme. "Wir hatten erfolgreich Hände verpflanzt und Daumen aus Zehen modelliert. Die Zeit war reif."

Zuvor hatten die Münchner Transplantations-Ärzte schon zwei andere potenzielle Empfänger abgelehnt. Dass der Allgäuer Familienvater tatsächlich als Premiere-Patient auserwählt wurde, verdankt er nicht nur seiner stabilen körperlichen Konstitution, sondern auch seiner soliden Psyche. "Der Mann ist erdverbunden. Eine absolut starke Persönlichkeit", urteilt Sibylle Storkebaum, als Diplom-Psychologin der Klinik zuständig für die seelischen Probleme der Transplantations-Patienten.

"Die Psyche und ein stabiles soziales Umfeld spielen bei Transplantationen eine ganz wichtige Rolle", sagt die Psychologin. Man weiß aus Erfahrung: Erfolgreiche Verpflanzungen scheitern später, weil die Empfänger sich nicht an die strengen Folge-Therapien und Trainingsauflagen halten, sich an das fremde Stück Fleisch nicht gewöhnen können oder unter schweren Schuldkomplexen gegenüber dem toten Spender leiden. Storkebaum: "Solche psychischen Qualen können den Heilungserfolg torpedieren."

Seelische Abstürze seien bei Bauer Merk nicht zu befürchten, sagt sie. Die Klinik-Psychologin lernte einen entschlossenen, nachdenklichen, positiv denkenden Mann kennen, der das Pro und Contra einer lebensgefährlichen Operation und einer lebenslangen Nachsorge genau abgewogen hatte. Der große Aufwand war ihm die ersehnte Selbständigkeit im Leben wert.

Die geschenkten Gliedmaßen akzeptiert er offenbar problemlos. "Das sind nun meine Arme. Basta", sagt Karl Merk. "Und ich gebe sie auch nie wieder her". Ihn stört die Vorstellung nicht, mit den Extremitäten und den Fingerabdrücken eines Toten herumzulaufen. Ganz anders als der Neuseeländer Clint Hallams, dem eine Kreissäge vor 14 Jahren eine Hand absägte. 1999 wurde ihm in Lyon eine neue Hand transplantiert. Doch der als neurotisch diagnostizierte Patient konnte sich nie an die fremden Finger gewöhnen, und ließ sich nach drei Jahren die Hand wieder abnehmen.

15-stündige Operation

Am 26. Juli hatten fünf OP-Teams mit mehr als 40 Ärzten und Assistenten unter Federführung von Oberarzt Christoph Höhnke und Professor Edgar Biemer dem Patienten Merk in einer Marathon-Operation die Arme eines Verstorbenen angenäht. Jahrelang hatten die Chirurgen für dieses Werk an Ratten- und Hundebeinen, zuletzt an zwei menschlichen Leichen aus der Klinikanatomie geübt. Die Teams arbeiteten gleichzeitig an der linken und rechten Seite des Spenders und des Empfängers. Zunächst wurden jeweils die Muskel-Enden, die Nerven und Gefäße freigelegt, dann die Knochen des Spenders in passender Länge abgesägt. Nacheinander wurden die Knochen, die Arterien, Venen, Muskeln, Sehnen, Nerven und die Hautlappen zusammengefügt. Der hochkomplizierte Eingriff erstreckte sich über 15 Stunden. Die transplantierten Ersatzteile, die etwa ein Viertel von Merks Körpermasse und 18 Prozent seiner Hautoberfläche ausmachen, sind bisher gut durchblutet, heißt das erste Resümee der Mediziner. Gewebe, Muskeln, Adern und Knochen wachsen zusammen. Und auch die größte Gefahr, die natürliche Abstoßungs-Reaktion des Körpers, sei unter Kontrolle, versichert Manfred Stangl, Leiter des Transplantations-Zentrums.

Normalerweise wehrt sich der Körper automatisch gegen fremde "Eindringlinge" wie transplantierte Organe, Gewebe oder Gliedmaße. Als Folge dieser "Wirt-gegen-Tansplant-Reaktion" kann es zu dramatischen Infektionen kommen, wenn Mediziner nicht mit starken Medikamenten dagegen anwirken. In Merks Fall wird diese immunsuppressive Behandlung durch Salben verstärkt, die täglich mehrmals auf die Narben aufgetragen werden. Nach diesen ersten kritischen zehn Wochen funktioniert es laut Stangl "erstaunlich gut", die Immun-Abwehr in Schach zu halten.

Sein ganzes Leben lang wird Bauer Merk eine abgeschwächte Dosis an Immunsuppressiva einnehmen müssen. Für seinen Körper ein ständiger Ausnahmezustand, denn diese Therapie schwächt auch den wichtigen Infektionsschutz eines Menschen. Oft leiden Transplantations-Patienten unter schweren Nebenwirkungen.

Auch das Hirn muss sich daran gewöhnen

Bisher allerdings findet Karl Merk "alles super": die Ärzte, die Klinik, das Essen, sein Einzelzimmer, und sein tägliches, achtstündiges Reha-Programm, das er geduldig und gut gelaunt absolviert. Um die neuen Arme zum Leben zu erwecken, bewegen Krankengymnasten die Gelenke, und Elektro-Stöße stimulieren die Muskeln. Zur Physiotherapie kommt konzentriertes Kognitiv-Training, damit Merk schon mal im Kopf lernt, dass er nach sechs Jahren wieder Arme hat. Seine Gedanken-Aufgaben lauten zum Beispiel: Wie fühlt es sich an, eine Tischoberfläche zu ertasten oder ein Glas anzufassen?

In vier bis sechs Wochen darf er zurück auf seinen Bauernhof, muss aber auch dort systematisch täglich mehrere Stunden an der Genesung arbeiten. "Es wird möglicherweise auch zu Rückschlägen kommen", sagt Professor Hans-Günther Machens, Direktor der Münchner Klinikabteilung für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, zum Abschied. Patient Merk schaut weiter optimistisch in den Presse-Saal. Ihn quälen keine Ängste.

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