Zehn Kilometer liegen hinter mir, als ich auf der anderen Seite des Flusses die Schwiegermutter erkenne, endlich. Neben ihr der Schwiegervater, die Musiker, mit etwas Abstand die Trauzeugen, der Pfarrer. Er hat sich den Brautleuten zugewendet, glücklich sieht er nicht aus. Überhaupt wirkt die Gesellschaft düster. Schneller habe ich es nicht geschafft, entschuldige ich mich, lockere die Schnürsenkel meiner Wanderschuhe, setze mich ihnen gegenüber und bestelle in dem einzigen Ausflugslokal einen Ingwertee.
Ich stelle mir vor, wie ihre Feier jäh um Mitternacht unterbrochen wurde, daran war Hans Heiling schuld, so haben es die Gebrüder Grimm notiert. Hans Heiling, einst ein wohlhabender Mann, war mit dem Teufel im Bunde und überließ ihm die Hochzeitsgesellschaft, bevor er sich in die Eger stürzte, in das träge fließende Wasser vor meinen Füßen. Seitdem sind die Feiernden versteinert – eine sagenumwobene Felsformation.

Dort, wo ich sitze, saßen schon viele. Sie sind wie ich aufgebrochen, um durch den Wald zu wandern und die steinerne Gesellschaft zu besuchen. Der Hans-Heiling-Felsen gehört zu den beliebtesten Ausflugszielen rund um Karlovy Vary, wie das größte Kurbad Tschechiens heute heißt. "Salon Europas" wurde es im 18. Jahrhundert genannt, weil jeder kam, der etwas auf sich hielt. Hundert Jahre später reiste der Hochadel an. Karlsbad war ein Ort, der vieles versprach: die Gicht loszuwerden und das Neueste zu erfahren. Gespräche zu führen und selbst zum Gespräch zu werden. In warmen Quellen zu baden und vielleicht, nein, unbedingt eine Liebschaft zu pflegen. Zu kuren bedeutete, sich aufzumachen: Nicht das Wasser sollte zum Patienten kommen, sondern der Patient sich zum Wasser bewegen. Das ist das Prinzip der Kur. Kann es für die Gegenwart noch etwas bereithalten?
Um das herauszufinden, habe ich Tage zuvor ein Zimmer im Grandhotel Pupp bezogen.