Psychologe Tewes Wischmann begleitet Paare, die sich für eine künstliche Befruchtung entschieden haben. Mit dem stern sprach er darüber, was auf die Beteiligten zukommt und was es bedeutet, wenn der Traum vom leiblichen Kind endgültig platzt.
Ab wann sollte sich ein Paar fragen, ob es mit dem Kinderkriegen auf normalem Wege klappt?
Wenn klar ist, dass beide Partner zeugungsfähig sind, sollte sich das Paar erstmal Zeit lassen mit dem "Üben". Erst nach einem Jahr sind etwa 80 Prozent der Paare schwanger, nach zwei Jahren sind es weit über 90 Prozent. Aber es gibt natürlich immer diese eine Frau im Freundeskreis, die gleich nach dem ersten Versuch schwanger wurde und dadurch andere Paare verunsichert.
Woran liegt es am häufigsten, wenn es nicht funktioniert?
Meist am Alter der Frau. Die Fruchtbarkeit ist mit 25 Jahren am höchsten und nimmt danach allmählich ab, nach 35 dann deutlich. Der Glaube, dass man auch noch im hohen Alter Kinder kriegen kann, wird ganz entschieden von den Medien befeuert: Viele Schauspielerinnen bekommen erst jenseits der 40 Kinder, eine 65-Jährige bekommt nun Vierlinge. Dabei geht unter, dass die Reproduktionsmedizin zwar vieles kann, aber längst nicht alles - und viele Methoden, etwa die Eizellspende, hierzulande auch verboten sind.
Wenn Paare auch nach vielen Versuchen nicht schwanger werden, heißt es oft: "Sie haben es zu verkrampft versucht". Wie wirkt sich die Psyche auf den Kinderwunsch aus?
Das Vorurteil, dass die Psyche blockiert, hält sich leider hartnäckig. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das aber Unsinn. Ratschläge wie "Jetzt macht euch mal locker" mögen gut gemeint sein, sie machen dem Paar aber Schuldgefühle. Die Psyche spielt höchstens indirekt eine Rolle, etwa wenn das Paar vor lauter Stress extrem viel raucht, die Frau hungert oder der Mann sich im Fitnessstudio mit Anabolika vollpumpt. Oder wenn es mit dem Sex nicht klappt, weil der Druck zu hoch ist, beziehungsweise das Paar ständig streitet. Aber die Fruchtbarkeit selbst wird durch die Psyche nicht direkt gehemmt.
Was sollte man sich bewusst machen, bevor man mit der Kinderwunschbehandlung beginnt?
Bei künstlichen Befruchtungen ist die Fehlgeburtenrate erhöht. Das ist umso bitterer, weil die Paare meist sehr viel Hoffnung, Emotionen und Geld investieren. Auf diese Achterbahn der Gefühle zwischen Hoffen und Verzweifeln muss man sich einstellen. Paare sollten andere energiezehrende Projekte wie Jobwechsel oder Hausbau für diese Zeit ruhen lassen. Ich machen meinen Klienten außerdem bewusst, wie die Chancen auf ein Kind stehen: Nach drei Versuchen geht die Hälfte der Paare kinderlos aus der Behandlung hervor, nach vier Versuchen sind es 40 Prozent. Das sage ich nicht, um zu entmutigen. Sondern um aufzuzeigen, wie wichtig ein Plan B ist, den alle Paare in der Schublade haben sollten. Das kann eine Adoption oder Pflegschaft sein. Aber auch der Abschied vom Kinderwunsch und die Hinwendung zu anderen Projekten wie einer Reise oder einer beruflichen Umorientierung.
Wenn das Paar eine Samenspende in Anspruch nimmt, muss es sich darauf einstellen, dass das Kind zwei Väter haben wird. Was sollte ein Paar in diesem Fall bedenken? Mit welchen Schwierigkeiten muss es rechnen?
Das Paar sollte vorher eine gemeinsame Haltung dazu entwickeln. Welche Rolle spielen Gene für uns? Wie ist es für mich als Mann, wenn ich biologisch nicht mit meinem Kind verwandt bin? Nicht zuletzt sollten sie die Frage klären: Wie sagen wir es unserem Kind?
Das setzt voraus, dass man es seinem Kind überhaupt erzählt ...
Dazu rate ich dringend. Wie alle Familiengeheimnisse lässt sich eine Samenspende nicht ewig verbergen. Erfährt es das Kind durch Zufall, kommt es zum Vertrauensbruch zwischen Kind und Eltern, möglicherweise auch zu einer Identitätskrise des Kindes. Alle Befunde sprechen dafür, dass Kinder, die über ihre Herkunft aufgeklärt werden und auch die Möglichkeit haben, den biologischen Erzeuger kennenzulernen*, sehr gut durchs Leben kommen. Der soziale Vater wird von den Kindern deswegen nicht angezweifelt. Es geht ihnen darum, ihre genetische Herkunft erfahren zu können. Wenn Paare sich heute noch entscheiden, es ihrem Kind nicht zu sagen, haben sie sich schlichtweg nicht gut beraten lassen.
Wann sollte ein Paar mit der künstlichen Befruchtung aufhören?
Das ist eine schwere Entscheidung. Manche Frauen werden nach der 18. Behandlung schwanger. Die Medizin setzt kaum Grenzen. Grenzen setzen eigentlich nur Geld und die Psyche. Wenn mich Paare fragen, wann sie aufhören sollen, sage ich: Wenn Sie nicht mehr können. Dominiert der Kinderwunschgedanke das Paar, kann das ein Alarmzeichen sein. Es gibt die Formulierung: Dem Kinderwunsch Raum geben und ihn begrenzen. Kann sich das Paar keine Auszeiten mehr verschaffen, wird es problematisch. Da hilft, eine feste Zeit zu vereinbaren, etwa eine halbe Stunde pro Tag, in der über den Kinderwunsch gesprochen wird. Danach wird das Thema gewechselt.
Wie gelingt der Abschied vom Kinderwunsch?
Das ist schwer, weil medizinisch mittlerweile so vieles möglich ist. Tatsächlich kann die endgültige Diagnose, dass ein Paar keine Kinder bekommen kann, auch nur sehr selten gestellt werden. Eine Restwahrscheinlichkeit bleibt fast immer. Wenn sich das Paar vom Kinderwunsch verabschieden will, sollte es daher darüber nachdenken, ob es künftig nicht verhüten will. Ansonsten könnte der Gedanke bleiben, dass es vielleicht doch noch was wird. Liegt es an einem Partner, dass es mit dem Kinderkriegen nicht klappt, müssen mögliche Schuldgefühle und Schuldzuweisungen auf den Tisch. Auch über Zweifel wie: "Sollte ich meine Partnerin freigeben, damit sie mit jemandem anderes ein Kind zeugen kann?", muss gesprochen werden, sonst leidet die Beziehung. Im "Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland" finden Paare Ansprechpartner, die durch diese schweren Zeit begleiten können. Außenstehende sollten in dieser Zeit zuhören und für Ablenkung sorgen. Auf keinen Fall sollte die Trauer des Paares bagatellisiert werden. Sätze wie: "Susi und Mark sind doch auch ohne Kinder glücklich", helfen nicht. Kinderlosigkeit ist etwas Existenzielles, das Frauen wie Männern an die Substanz geht.