Eines der ersten Opfer des Regierungsunfalls im vergangenen November war die Reform der Notfallversorgung. "Am Morgen des 6. November 2024 gab es dazu eine Expertenanhörung im Bundestag, am selben Abend brach die Ampel-Koalition auseinander", sagt Florian Reifferscheid, Notarzt in Kiel und Vorsitzender der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands BAND.
Unter anderem sollte es im Zuge der Reform bundeseinheitliche Standards geben, wie lange es vom Notruf bis zum Eintreffen des Rettungswagens dauern darf. Denn diese Zeiten sind von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich; in Berlin sind es acht Minuten, in Niedersachsen und Brandenburg jeweils 15 Minuten. Dabei zähle etwa bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand jede Minute, sagt Reifferscheid. Je länger es dauere, bis professionelle Hilfe vor Ort sei, umso geringer sei die Wahrscheinlichkeit, schwerwiegende neurologische Schäden zu vermeiden.
Unterschiedliche Regeln zur Notfallversorgung
Wertvolle Zeit kann auch verloren gehen, wenn sich ein Notfall nahe einer Länder- oder Kreisgrenze ereignet. Befindet sich jenseits der Grenze ein Rettungsfahrzeug, das viel näher am Unfallort ist, als das nächste diesseits der Grenze, bedeutet das nicht automatisch, dass es auch dorthin beordert wird. "Häufig haben die in einem Land- oder Stadtkreis oder einem Bundesland zuständigen Leitstellen unterschiedliche Softwaresysteme", sagt Reifferscheid. Der Austausch von Informationen erfolge daher oft per Telefon, wenn überhaupt.
Um lange Wartezeiten bis zum Eintreffen professioneller Ersthelfer mit einem Rettungs- oder Notarztwagen zu überbrücken, gibt es in einigen Bundesländern Notrufsysteme, bei denen sich ausgebildete Laien per App als Ersthelfer anmelden können. Passiert ein Unfall, ermittelt die Leitstellen den nächstgelegenen registrierten Ersthelfer und fragt ihn an, ob er zum Unfallort kommen kann. "Meist geschieht das auch", sagt der Notarzt aus Kiel.
Stiftung klagt beim Bundesverfassungsgericht
Doch auch dieses System hat einen Haken, es funktioniert nur im jeweiligen Bundesland. "Sind Sie in Hamburg als Ersthelfer registriert und machen an der Ostsee Urlaub, werden Sie nicht informiert, wenn im Strandkorb nebenan jemand einen Herz-Kreislauf-Stillstand hat", moniert Reifferscheid.
Er hofft, dass die neue Bundesregierung die Reform der Notfallversorgung wieder auf die Agenda setzt. Die in Baden-Württemberg ansässige Björn-Steiger-Stiftung will darauf nicht länger warten. Im März dieses Jahres reichte sie Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Darin heißt es: "Die Bürgerinnen und Bürger müssen im Notfall die gleichen Überlebenschancen haben, unabhängig davon, in welchem Bundesland sie leben, ob in der Stadt oder auf dem Land."