Seit sich herumgesprochen hat, dass die in unserem Blut kreisenden Botenstoffe Stimmungen, Befindlichkeiten und Begehren beeinflussen, neigen wir dazu, alle möglichen zwischenmenschlichen Freuden und Leiden auf die Hormone zu schieben. Es scheint verführerisch einleuchtend, dass wir persönlich sozusagen gar nicht für unser sexuelles Verhalten - und eventuelle Ausrutscher - zuständig sind. Jeder Seitensprung eine Laune der Hormone, da braucht dann ja auch kein Mensch ein schlechtes Gewissen zu haben.
Doch natürlich sind es nicht allein die Hormone, die uns zueinander treiben. Mit wem wir unser Bett teilen wollen, das hängt auch von Schönheitsidealen oder gesellschaftlichem Status ab, von anerzogenen Werten und früheren erotischen und zwischenmenschlichen Erfahrungen. Sogar der Sex selbst unterliegt dem Wandel der Zeit: Verglichen mit den 1940er und 1950er Jahren, als der Sexualforscher Alfred Kinsey seine berühmten Studien zum Liebesleben der Amerikaner veröffentlichte, haben heute zum Beispiel viel mehr Paare Oralsex - die westlichen Gesellschaften sind da inzwischen liberaler, die Menschen meist besser über die Spielarten der Lust informiert.
Je nachdem, ob die Experten sich dem Phänomen Liebe eher von der soziologischen, der psychologischen oder der biomedizinischen Seite her nähern, glauben sie mehr oder weniger an die Macht der Hormone. Zweifelsfrei steht aber fest, dass es ein "Hormon-Basis-Programm" gibt, das unsere Sexualität bis zu einem gewissen Grad beeinflusst, vor allem, wenn es um Fortpflanzung geht. Allein die Geschlechtshormone und der Drang, sich zu vermehren, können aber die menschliche Erotik nicht wirklich erschöpfend erklären: Spätestens seit Erfindung der Anti-Baby-Pille sind Sex und Kinderkriegen zwei Paar Schuhe.
Die wichtigsten Sexualhormone
Hormone sind biochemische Botenstoffe, die innerhalb eines Lebewesens Informationen von einem Organ oder Gewebe zum anderen übermitteln, ähnlich wie es auch unsere Nerven tun, aber normalerweise deutlich langsamer. Hormone "reisen" im Blut und wirken nur auf bestimmte Zielorgane. Wie schnell eine hormonelle Botschaft dort ankommt, hängt vom jeweiligen Boten ab. Hergestellt werden Hormone unter anderem von speziellen Zellen in der Hirnanhangdrüse oder Hypophyse, der Zirbeldrüse, der Schilddrüse, der Nebenniere und in bestimmten Bereichen der Bauchspeicheldrüse.
Auch Nervenzellen produzieren einige Hormone, sogenannte Neurohormone, die anregend oder hemmend auf die Hormonausschüttung der Hirnanhangdrüse wirken können. Und die wiederum kann auf die Keimdrüsen oder Gonaden Einfluss nehmen, in denen Sexualhormone gebildet werden. Bei der Frau sind die Gonaden die Eierstöcke, beim Mann die Hoden.
Wenn es um Geschlechtshormone geht, ist meist von Testosteron und Östrogen die Rede. Beide Substanzen, die chemisch ganz ähnlich gebaut sind und unter anderem die sexuelle Lust beeinflussen, zirkulieren sowohl bei Männern als auch bei Frauen im Blut - allerdings in geschlechtspezifischer Mischung: mehr Testosteron bei den Herren, mehr Östrogen bei den Damen. Östrogen ist ein Oberbegriff für mehr als 30 verschiedene Hormone. Die sind nicht nur fürs Erotische zuständig, sondern haben diverse Aufgaben im weiblichen Körper, von der Entwicklung der Brust während der Pubertät bis hin zum Knochenaufbau.
Testosteron gehört zur Gruppe der Androgene und ist das wichtigste männliche Geschlechtshormon, wird aber auch in geringen Mengen in der weiblichen Nebennierenrinde und den Eierstöcken produziert. Testosteron macht Frauen Lust, zu viel davon lässt allerdings auch die Barthaare sprießen. Im männlichen Körper kümmert sich Testosteron um die Entwicklung der Geschlechtsorgane, den typisch männlichen Körperbau und die Herstellung von Samen. Außerdem scheint es die freudige Erregung angesichts eines attraktiven Gegenübers zu steigern, ergab zumindest ein Experiment mit amerikanischen Studenten: Die hatten nämlich schon bei einem kurzen Gespräch mit einer schönen Frau deutlich mehr Testosteron im Speichel.
Der Zauber der Wespentaille
Gerät unser Blut beim Anblick eines traumhaften Wesens allzu sehr in Wallung, hilft es nicht immer, einen kühlen Kopf zu bewahren. Denn auch unsere Gehirnzellen kommunizieren mit Hilfe von Botenstoffen, sogenannten Neurotransmittern, die chemische Signale von einer Nervenzelle zur anderen übertragen und unsere Gedanken und Gefühle ziemlich durcheinander wirbeln können: Finden wir jemanden attraktiv, werden im Gehirn zum Beispiel vermehrt Glückshormone wie Dopamin oder Serotonin ausgeschüttet.
Unbewusst scheinen wir bei der Suche nach der großen Liebe oder wenigstens einer heißen Nacht sogar auf körperliche Merkmale zu achten, die hohe Hormonspiegel verheißen: In so verschiedenen Regionen wie Indien, China und Europa finden Männer jedenfalls stets Damen mit schmaler Taille attraktiv. Der amerikanische Psychologe Devendra Singh veröffentlichte Mitte der 1990er Jahre Daten, nach denen oft Frauen mit einem Taille-Hüfte-Verhältnis von 0.7 bevorzugt wurden - was den "Modelmaßen" 90-60-90 schon recht nahe kommt.
Sanfte Männer für den Alltag
Singh zufolge suchten die Herren dabei, ohne es zu merken, nach einer Silhouette, die auf einen hohen Östrogenspiegel hindeutet - und damit auf besonders fruchtbare Frauen. Schönheitsfehler der Theorie ist allerdings, dass auch Ladies mit fülliger Taille reichlich Östrogen im Blut haben können, und dass üppige Formen in manchen Kulturen durchaus als ideal gelten. Schließlich hat auch die ihrerzeit offenbar als Fruchtbarkeitssymbol verehrte "Venus von Willendorf" nicht gerade eine Wespentaille.
Ob Frauen auf Partnersuche nach Testosteron-Protzen Ausschau halten, versuchten Forscher anhand von Gesichter-Studien zu erhellen. Tatsächlich fanden Frauen Fotos von kantig-männlichen Herren-Konterfeis besonders attraktiv. Allerdings nur kurz vor ihrem Eisprung, also an den fruchtbaren Tagen. In der übrigen Zeit bevorzugten die Damen eher Männer mit weichen Zügen. Besteht also eine Chance, schwanger zu werden, folgerten die Wissenschaftler, lassen sich Frauen von dominanten Kerlen beeindrucken. Ansonsten ziehen sie die alltagstauglichen Kuscheltypen vor. Die Ergebnisse sind, wie etliche Studien der sogenannten Attraktivitätsforschung, nicht unumstritten - vor allem wurde kritisiert, dass die Bilder der Kandidaten mit einem Computerprogramm weiblicher beziehungsweise männlicher gemacht wurden, und dass durch dieses "Verzerren" der natürlichen Vorlage auch Proportionen verändert werden können.
Im Rausch der Leidenschaft
Wenn die Suche erfolgreich war und uns die große Leidenschaft erwischt, überschwemmt uns ein fein abgestimmten Cocktail chemischer Körpersignale und lässt das Herz freudig flattern: Der Neurotransmitter Dopamin stimmt euphorisch, der Botenstoff Adrenalin putscht auf. Doch was genau beim Liebesakt in Gehirn und Hormonsystem passiert, wissen wir immer noch nicht so ganz genau. Kein Wunder: Wahrscheinlich sind Dutzende Hormone und Hirn-Botenstoffe am Überschwang der Gefühle beteiligt.
So scheint das Hormon Vasopressin beim Mann die erregende Wirkung des Testosterons noch zu erhöhen. Bei Frauen dagegen steigt beim Lustspiel der Oxytocin-Spiegel. Dieses "Kuschelhormon" bestimmt zudem bei beiden Geschlechtern, wie intensiv der Orgasmus erlebt wird. Der damit verbundene Rauschzustand kommt wiederum durch körpereigene Drogen zustande: Auf dem Gipfel der Lust werden entsprechende Substanzen ausgeschüttet, vor allem Dopamin, das die für Lust und Belohnung zuständige Hirnregion in Ekstase versetzt.
Doch was passiert, wenn das Feuerwerk der Hormone nicht oder nur noch zögerlich zündet? Leidet das Liebesleben, wenn die körpereigene Chemie nicht mehr stimmt? Nicht unbedingt, beruhigen Experten. Selbst wenn mit dem Alter und in den Wechseljahren immer weniger Geschlechtshormone produziert werden, schwindet damit keineswegs zwingend die Freude am Sex. Zwar kann Testosteronmangel - übrigens bei beiden Geschlechtern - unter Umständen das Verlangen erheblich drosseln. Aber es sind doch immer auch seelische Faktoren, die über Lust und Liebe mitentscheiden, ein Leben lang.