Er möchte einfach nur dazugehören. Endlich eine neue Heimat haben, die englische Sprache beherrschen, ihre feinen Nuancen und Tonfälle. Davon träumt der serbische Schreiner Vid Cosic, der nach dem jugoslawischen Bürgerkrieg und dem Unfalltod seiner Eltern in Irland neu anfangen will. Auf der Straße findet Vid das Handy von Kevin Concannon, einem jungen Dubliner Anwalt. So beginnt eine zunächst euphorisch gestimmte Freundschaft, die den Osteuropäer später tief in eine tragische Familiengeschichte verwickelt.
Der 1953 in Dublin geborene irische Autor Hugo Hamilton legt mit "Der irische Freund" einen packenden, klugen Roman vor, der den Leser von der ersten Seite an in seinen Bann zieht. In einer ebenso genauen wie poetischen Sprache wird das Lebensgefühl der Fremdheit eingekreist und ausformuliert. Am Ende dieses Romans ist man sich sicher: Fremdheit ist kein momentaner Zustand, sondern fast so etwas wie eine universelle Erfahrung.
"Der irische Freund"
Von Hugo Hamilton
Luchterhand
Preis: 19,90 Euro
Liebe und Hass - zwei Seiten einer Medaille
Staunend wie ein Kind läuft der Ich-Erzähler über die grüne Insel, wundert sich über die überschwänglichen Freundschaftsbekundungen und Trinkrituale der Iren, spürt aber von Anfang an auch eine latente Aggression, die blitzschnell in Gewalt umschlagen kann, so als wären Liebe und Hass nur zwei Seiten einer Medaille.
Als der jähzornige, unberechenbare Egomane Kevin eines Nachts einen Handwerker zusammenschlägt, gerät Vid in Verdacht. Die Tat kettet beide Männer unheilvoll aneinander. Als eine Art Wiedergutmachung soll Vid das Elternhaus des Anwalts von Grund auf renovieren und lernt so Mutter Rita und Kevins Schwester Ellis kennen. Schicht für Schicht legt der serbische Schreiner verrottete Fundamente frei - wie ein Archäologe erforscht er die Familiengeschichte und kommt dunklen Geheimnissen auf die Spur. Aber je mehr Vid über die Concannons erfährt, desto fremder und unheimlicher wird ihm der Clan.
Nöte eines Einwanderers
Das Gefühl des Nichtdazugehörens kennt der Autor Hugo Hamilton sehr gut. Seine Mutter war eine Deutsche, der Vater ein glühender irischer Nationalist. Die Kinder durften zuhause in Dublin kein Englisch sprechen, später musste sich Hamilton die Sprache wie einen Schatz erobern. Vielleicht gelingt es ihm deshalb so überzeugend, die Nöte des Einwanderers zu schildern. Und dies in einem Land, aus dem Menschen über die Jahrhunderte immer wieder auswandern mussten.
Schließlich macht sich Hamiltons Held auf die Reise an die Westküste, um die mythenumrankte Geschichte einer Tante von Kevin zu erforschen, die sich als junges Mädchen ertränkt haben soll - weil sie schwanger war und nicht verheiratet. Natürlich findet der Reisende keine eindeutigen Beweise für den Vorfall, aber viele Geschichten, die wie Treibgut ans Ufer gespült werden.