Es scheint nur passend, dass Frankensteins Monster das literarische Licht der Welt erblickte, als die Welt in Regen-, Graupel- und Schneeschauern zu ertrinken drohte.
Als die 20-jährige Mary Shelley (damals noch Mary Godwin) für den Sommer 1816 einen Urlaub am Genfer See plante, konnte sie nicht wissen, dass dieser Sommer als "Jahr ohne Sommer" in die Geschichte eingehen würde.
Ein Jahr zuvor war in Indonesien der Vulkan Tambora in ausgebrochen - es war der größte Vulkanausbruch aller Zeiten. Die Asche verdunkelte den Himmel, Europa und Nordamerika litten unter Ernteausfällen, Seuchen und Hungersnöte forderten hunderttausende an Menschenleben.
Auch am Genfer See machte sich das Unglück bemerkbar: Es regnete ununterbrochen, stundenlang, tagelang. Langeweile machte sich breit in der Villa Diodati, die Shelley und ihre Freunden Lord Byron, John William Polidori und Claire Clairmont gemeinsam bewohnten.
Vom Dauerregen ans Haus gefesselt schlossen die Urlauber einen Pakt. Jeder sollte eine Gruselgeschichte verfassen, um sein Werk in der Runde vorzutragen. Während John Polidori - lange vor Bram Stoker - eine Vampirgeschichte erdachte, schuf Mary Shelley eine mit Frankensteins Monster eine Ikone der phantastischen Literatur.
Die tragische Geschichte eines Wesens, das von seinem Schöpfer Frankenstein aus Leichenteilen zusammengesetzt und anschließend verstoßen wurde, wurde Shelleys literarisches Vermächtnis - und warf einen dunklen Schatten über ihr weiteres Oeuvre.
Erst in den 1970er Jahren begannen Literaturwissenschaftler, sich wieder für ihre anderen Kurzgeschichten, Theaterstücke, Essays und Gedichte zu interessieren. Die breite Öffentlichkeit kennt sie bis heute nur in einer Rolle: als geistige Mutter des Monsters aus Leichenteilen.