Zwei Monate sind mittlerweile vergangen, seit bei mir eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde. Ich befinde mich bereits mitten im zweiten Zyklus meiner Chemotherapie. Bisher bin ich von sichtbaren Nebenwirkungen verschont geblieben. Es ist eher eine diffuse Ahnung als ein deutlich spürbares Gefühl, dass in meinem Körper ein Zweikampf ausgefochten wird. Ich habe allen Grund, dankbar zu sein. Das denke ich jeden Morgen, wenn ich aufwache. Die Leistung des Personals im Sahlgrenschen Krankenhaus könnte kaum größer, effektiver oder schneller sein.
Aber natürlich weiß niemand, weder ich noch die behandelnden Ärzte, wie es mir wirklich geht. Wie gut die Medikamente wirken. In ein paar Wochen wird eine Kontrolluntersuchung mehr darüber aussagen. Ich kann nur das Beste hoffen. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich nach diesen zwei Monaten voll und ganz begreife, was diese, meine Krebserkrankung bedeutet. Noch immer werde ich nachts manchmal schlagartig wach und denke; das kann unmöglich wahr sein.
Aber es ist wahr. Die Wahrheit zu leugnen oder zu verdrängen, wäre in meinem Fall verhängnisvoll. Ich weiß natürlich, dass es viele Menschen gibt, die nichts darüber wissen wollen, was sie ereilt hat. Die sich Strohhalme aus Illusionen basteln. Ich kann diese Menschen verstehen, aber für mich wäre dies eine unmögliche Haltung. Ich will alles erfahren. Ich glaube an das Wissen. Je mehr ich weiß, desto besser kann ich dem Feind, der meinen Körper besetzt hat, Widerstand leisten.
Wissen statt leugnen
Außerdem bin ich natürlich nicht allein. Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: Jedes Jahr erkranken in Schweden mindestens 50.000 Menschen an Krebs. Wie viele das pro Tag oder pro Stunde sind, lässt sich leicht berechnen. Es heißt auch, dass sechs bis sieben von zehn Menschen ihre Krebserkrankung überleben. Dies ist allerdings eine Zahl, die viele Fragen weckt. An welcher Krebsart ist man erkrankt? Wie frühzeitig wurde die Krankheit entdeckt? Wie gut gelingt es den Ärzten, die richtigen Maßnahmen einzuleiten?
Man kann natürlich auch zehn Zettel in einen Hut werfen, auf vier von ihnen ein Kreuz malen und anschließend hoffen, dass man einen Zettel zieht, der weiß ist. So kann man, wenn einem das liegt, den Zufall entscheiden lassen, ob man ein Überlebender sein wird oder nicht. Und was ist eigentlich mit überleben gemeint? Wird es in Monaten oder Jahren gezählt? Krebs zu haben, heißt nicht nur, an einer schweren Krankheit zu leiden. Die Möglichkeit, dass sie mit dem Tod endet, ist allgegenwärtig. Doch für mich ist das Wissen wie erwähnt ein notwendiger Verbündeter.
Um zu verstehen, was vorgeht und was mich vielleicht zwingen wird, meine Kräfte auf die richtige Art zu bündeln. Unwissend zu bleiben heißt, eine Flucht zu bejahen, der ich mich nicht aussetzen will. Im Anschluss an dieses "wissen oder nicht wissen" gibt es noch etwas Entscheidendes, wie ich in diesen Monaten begriffen habe. Wie viele Menschen mit ihrem Krebs so verzweifelt allein sind. Wie viele kaum jemanden haben, mit dem sie ihre Qualen teilen können, keinen, mit dem sie über ihre Sorgen, ihre Angst und die Panik sprechen können, die in den Nächten immer größer wird. Jenseits von medizinischer und therapeutischer Versorgung braucht jeder einen anderen Menschen, der ihm beistehen kann. Ich glaube nicht, dass man es auf Dauer erträgt, alle Fragen selbst zu beantworten.
"Keiner sollte damit allein sein"
Ich persönlich erkenne natürlich die Bedeutung der Menschen, die mir am nächsten stehen, wenn es für mich darum geht, durchzuhalten und der Krankheit so stark, wie ich nur kann, zu begegnen. Wie viele von den 50.000, die in Schweden jedes Jahr an Krebs erkranken, einsam und schutzlos sind, kann ich nicht wissen. Aber niemand sollte dies sein müssen. Das ist keine Herausforderung für das Gesundheitswesen, sondern für unsere gesamte Kultur.
Die Einsamkeit, der es in den letzten fünfzig Jahren erlaubt wurde, sich auszubreiten und beinahe zu einer Art sozialem Normalzustand zu werden, führt uns immer tiefer in eine unmenschliche Gesellschaft. In der Solidarität jegliche Bedeutung verloren hat. Den anderen zu sehen heißt letztlich immer, sich selbst zu sehen. Keiner sollte mit seinem Krebs, seiner Hoffnung und seine Furcht, allein sein müssen.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf