Dr. Dr. Rainer Erlinger Er schrieb Moral-Kolumnen, jetzt setzt er Mieter auf die Straße

Rainer Erlinger 
Der Autor, Arzt und Jurist Dr. Dr. Rainer Erlinger hat 16 Jahre lang in der Kolumne "Die Gewissensfrage" im "SZ Magazin" Fragen von Lesern beantwortet, die sich in einem moralischen Konflikt sehen.
© rtn, ulrike blitzner/ / Picture Alliance
16 Jahre lang gab er im "SZ"-Magazin Lesern Ratschläge, die in einem moralischen Konflikt steckten. Rainer Erlinger selbst hat die Frage zu seiner Wohnsituation eindeutig beantwortet. Weil ihm 140 Quadratmeter nicht reichen, hat er vier Mietern gekündigt.

Muss ich Straßenkünstlern Geld geben? Darf man geschenkte Kinderkleidung weitergeben, die das eigene Kind aus ethischen Gründen nicht tragen soll? Und ist es in Ordnung, den Eintrag des verstorbenen Großvaters aus dem Handy-Adressbuch zu löschen? Das sind nur drei von knapp tausend moralischen Fragen, die Dr. Dr. Rainer Erlinger zwischen 2002 und 2018 lang Woche für Woche im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" beantwortet hat.

Kein Gewissenskonflikt war zu unbedeutend, um nicht mit einer ausführlichen ethischen Überlegung des Mediziners und Juristen bedacht zu werden. Selbst eine läppisch erscheinende Frage, ob es verwerflich sei, die Aufregung des griechischen Wirts während eines Fußballspiels auszunutzen, um Ouzo spendiert zu bekommen beantwortete der doppelte Doktor in einem eigenen Text.

Die große Ernsthaftigkeit, mit der Erlinger in jeder Situation einen ethisch korrekten Weg aufzeigte, verschaffte ihm große Popularität. Der 55-Jährige wurde zum Bestsellerautor und Moderator einer eigenen WDR-Sendung. 

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Rainer Erlinger kündigt vier Mietern

Ob er die hohen ethischen Maßstäbe, die er seinen Lesern mit auf den Weg gab, auch für sein eigenes Leben anlegt, daran zweifeln mittlerweile nicht wenige Menschen. Denn wie mehrere Berliner Zeitungen berichten, hat der Moralkolumnist bereits 2017 sämtlichen Mietern in seinem Wohnhaus in Berlin-Mitte gekündigt, um deren vier Wohnungen selbst zu beziehen und künftig auf 240 Quadratmetern zu leben. 

Drei der vier Mieter wurde Erlinger mit Eigenbedarfskündigungen, Räumungsklagen und gerichtlichen Vergleichen bereits los. Die vierte Mieterin wehrte sich dagegen juristisch.

Die Eigenbedarfskündigung Erlingers, die dem stern vorliegt, liest sich stellenweise skurril. Ihrem Mandanten sei es "durchaus bekannt und bewusst, dass Sie bereits sehr lange in dem Objekt leben und dort Ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben", heißt es in einem Anwaltsschreiben vom 1. Juni 2017. Derzeit lebe Erlinger zur Miete in einer ca. 140 Quadratmeter großen 4-Zimmer Wohnung. "Der Wohnbedarf meines Mandanten geht jedoch darüber hinaus."

Bedarf für Bibliothek und Gästezimmer

Begründet wird dies mit dem "zu klein dimensionierten" Arbeitszimmer. Weiter heißt es: "Mein Mandant empfängt auch gern Gäste, die gelegentlich über Nacht bleiben. Die derzeit angemietete Wohnung verfügt jedoch nicht über ein Gästezimmer, sodass Gäste auf einem aufblasbaren Gästebett im Arbeitszimmer nächtigen müssen; ein für alle Beteiligten unschöner Zustand." Zudem verfüge Erlinger "über eine beachtliche Anzahl Bücher", für die in den Regalen schlicht kein Platz mehr sei. Platz für neue Regale stehe aber nicht mehr zur Verfügung.

Auf gut Deutsch: Die Mieterin muss für Bibliothek und Gästezimmer weichen. In der ersten Instanz bekam die Frau Recht. Das Amtsgericht Mitte lehnte im August 2020 Erlingers bereits zweite Räumungsklage ab, weil seine Forderungen einen "überholten Wohnbedarf" darstellten.

Erlinger ging daraufhin in Berufung und hatte Erfolg: Mitte Januar ließ sich die Mieterin auf einen Vergleich ein. Dafür, dass sie die Wohnung bis Ende Oktober räumt, soll sie 112.000 Euro erhalten, wie ihr Prozessvertreter der "taz" mitteilte.

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Niemandem steht mehr als ein Platz zu

Eine Anfrage des stern hat Erlinger bislang nicht beantwortet. In der "taz" verwies er darauf, er trete seit dem Ende seiner Kolumne kaum noch öffentlich in Erscheinung, das Haus sei deshalb Privatsache.

Im Mai 2018, als Erlinger bereits dabei war, die Mieter aus ihren Wohnungen zu vertreiben, klang er in seiner Kolumne noch ganz anders: Niemandem stehe mehr als ein Platz zu, schrieb er da. Es ging um die Frage einer Leserin, ob sie eine Bahnfahrerin, die zwei Plätze für sich beansprucht, um Freigabe des Platzes bitten dürfe. Erlingers deftige Ansage: Man müsse "ihr gehörig den Marsch blasen."

Verwendete Quellen: "Tageszeitung", "SZ"-Magazin

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